Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
da.
Schatten rutschte zur Seite, sah zu der jungen Weisen hoch und rümpfte die Schnauze, als hätte sie plötzlich etwas Abscheuliches im Maul.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit, Wynn«, sagte Chane.
»Oh, dann nehmen wir uns die Zeit dafür!«, erwiderte Wynn und starrte auf die Hündin hinab. »Wenn wir erneut in schwierige Situationen geraten, möchte ich mich nicht mit der Erinnerungssprache herumplagen müssen. Sie wird damit aufhören, stur zu sein, und auf meine Worte hören. Komm her, Schatten!«
Diesmal rutschte die Hündin nicht zur Seite, sondern stand auf und setzte übers Fußende des Bettes hinweg. Der Anblick hätte den meisten Leuten einen Schrecken eingejagt, aber nicht Wynn.
»Lauf nicht vor mir weg!«, befahl sie und versuchte erneut, Schatten zu packen.
Ihre Hand rutschte übers gesträubte Rückenfell, und als sie den Schwanz zu fassen bekam, hielt sie fest.
Wenn Wynn Jahre später an diesen Moment zurückdachte, konnte sie es kaum fassen. Ein der Panik nahes wildes Tier größer als ein Wolf am Schwanz festzuhalten … Das war so ziemlich das Dümmste, was man tun konnte. Aber hier, in diesem Augenblick, war es ihr gleichgültig, bis …
Schatten kläffte, drehte den Kopf und fügte dem Kläffen ein Knurren hinzu. Sie stand auf dem Bett, ihre Augen befanden sich auf einer Höhe mit Wynns … und Wynn erstarrte.
»Hör auf!«, sagte Chane scharf. »Sie wendet sich gegen dich!«
»Nein, das wird sie n…«
Wynn beendete den Satz mit einem erschrockenen Quieken, als Schatten sprang.
Die junge Weise stieß mit den Beinen gegen das Fußende des Bettes, verlor das Gleichgewicht und kippte. Sie hielt noch immer den Schwanz der Hündin fest und wurde von ihr mit dem Gesicht nach unten über die harte Matratze gezogen. Zischend entwich die Luft aus ihrer Lunge, und Schattens Schwanz rutschte ihr aus der Hand.
Wynn rollte sich auf die Seite und versuchte sich aufzusetzen. Sie hörte, wie Schatten erneut knurrte, grimmiger als vorher, wich zurück und sank auf den Rücken.
»Zurück!«, fauchte Chane, und streckte die Hand aus.
Wynn sah, wie er versuchte, Schatten wegzuschieben.
»Nicht, Chane …«, warnte sie.
Schatten hatte sich bereits gedreht.
Chanes Hand berührte sie kaum an der Schulter, als die Hündin zubiss. Er riss die Hand zurück und hielt sie verblüfft. Bevor Wynn reagieren konnte, stießen große Pfoten gegen ihre Rippen und schoben sie weg.
Mit einem weiteren Quieken rutschte Wynn zur Seite und über die Bettkante hinweg, prallte dadurch gegen Chanes Beine, was ihm das Gleichgewicht raubte. Er stürzte, und Wynn landete auf dem Boden, krabbelte dann auf Händen und Knien zu ihm. Chane saß dort und starrte auf seine zitternde Hand.
»Es brennt«, flüsterte er. »Wie von …«
Wie von Magieres Klinge, dachte Wynn, als Chane den Satz nicht beendete. Dann sah sie die ölige schwarze Flüssigkeit an Chanes Daumenansatz.
Soweit Wynn wusste, gab es in dieser Welt, abgesehen von Magieres Falchion, nur eins, das einen Untoten auf diese Weise verletzen konnte: die Zähne eines Majay-hì. Schattens Zähne hatten Chanes Haut durchstoßen. Bestimmt hatte sie nicht beabsichtigt, ihm eine ernste Wunde zuzufügen, aber sie war eindeutig zu weit gegangen.
»Verdammnis!«, fluchte Wynn und kehrte zum Bett zurück. »Gegen wie viele nervige Majay-hì muss ich in einem Leben kämpfen?«
Schatten war nicht mehr da, zumindest nicht ganz.
Die Spitzen von zwei großen dunklen Ohren ragten auf der anderen Seite über die Bettkante.
»Schatten«, sagte Wynn, »aus welchem Grund auch immer Chap dich zu mir geschickt hat … Er wollte bestimmt, dass du dich mir fügst.«
Der Kopf kam weit genug nach oben, dass die hellblauen Augen sichtbar wurden. Schatten blinzelte langsam, gab schläfriges Desinteresse vor, legte dann die Schnauze aufs Bett … und schnaubte.
Dadurch riss Wynns Geduldsfaden. »Du wirst mehr Worte lernen, und wenn ich deine Ohren festnageln und sie dir in deinen sturen Kopf brüllen muss!«
Schatten rümpfte die Schnauze und erinnerte Wynn damit an Chap. Sie richtete den Zeigefinger auf die Hündin.
»Werd nicht frech, junge Dame!«
15
In der nächsten Nacht folgte Chane der Hündin übers felsige Ufer und half Wynn, wann immer sie sich von ihm helfen ließ. Sie hatte sich den Riemen ihres Rucksacks über die Schulter geschlungen, hielt Stab und Kristall in einer Hand und benutzte die andere beim Klettern. Das Licht des Kaltlampen-Kristalls drang zwischen ihren
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