Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
finden.
»Warte hier, während ich mir die Sache ansehe«, sagte er nach einer Weile.
Chane legte die beiden Rucksäcke, das Schwert und den Mantel ab.
»Ich schätze, selbst du kannst dort unten nicht viel sehen«, sagte Wynn. »Nimm das hier mit.«
Sie hielt ihm ihren Kaltlampen-Kristall entgegen.
Chane zögerte, aber nicht deshalb, weil er ein solches Objekt noch nie in der Hand gehalten hatte. Seit er Wynn zur Hauptniederlassung der Gilde gefolgt war, wusste er besser als jemals zuvor, was diese Kristalle darstellten. Man gab sie jenen Weisen, die mindestens den Status eines Reisenden erreicht hatten und damit über den anderen standen. Dieser eine Kristall repräsentierte die Welt, von der Chane ein Teil werden wollte, und ihn in der Hand zu halten bedeutete auch, einen Teil von Wynn zu berühren.
Er nahm ihn entgegen und beobachtete, wie er in seiner Hand glühte.
»Warte, da fällt mir ein …« Wynn nahm den Kristall wieder zurück.
Chane war verwirrt und auch verletzt, bis er sah, dass die junge Weise den Kristall rieb. Sie öffnete die Hände – die Reibung und Wynns Körperwärme hatten dafür gesorgt, dass mehr Licht aus dem Innern des Kristalls kam.
»Das Wasser ist kalt«, sagte sie. »Vielleicht musst du den Kristall reiben, damit er heller wird. Insbesondere wenn du nass bist.«
Sie legte ihm den Kristall wieder auf die Hand.
Unter seinem Licht spürte er Wynns Wärme, und dieses Gefühl vertrieb letzte Zweifel. Aber er nahm auch noch etwas anderes wahr, etwas, das ihn mit neuer Sorge erfüllte.
Er roch Wynn, ihr Leben , wie von der Wärme im Kristall verstärkt, selbst in diesem kalten Küstenwind. Das Ungeheuer in ihm regte sich und hob hungrig den Kopf.
»Was ist?«, fragte Wynn.
Chane schloss die Hand um den Kristall, als fürchtete er, ihn erneut zu verlieren. Gleichzeitig fühlte er, wie seine kalten Finger die Wärme aufsaugten.
»Nichts«, flüsterte er und trat ins Wasser.
Das Meer war nicht annähernd so kalt wie das Eis in seinem Innern.
Das Wasser reichte ihm nur bis zu den Knien, wie Chane erleichtert feststellte. Schatten bellte, aber er achtete nicht darauf und watete zum Überhang. Wynn hatte gesagt, dass sich die Öffnung des Tunnels weit auf der linken Seite befand, und als er die hintere Felswand in der Höhle erreichte, tastete er sich in die entsprechende Richtung.
Das runde Loch war nicht mehr als ein Schatten im Fels, bis er direkt davor stand. Er musste sich ducken, um in den Tunnel zu gelangen, dessen Boden ebener war als der in der Höhle. Soweit er es erkennen konnte, schien der Tunnel vollkommen rund zu sein, wie ein in den Berg hineinreichendes Rohr. Daran, dass er künstlichen Ursprungs war, konnte nicht der geringste Zweifel bestehen. Er musste vor langer Zeit gegraben worden sein. Algen hatten sich an den gewölbten Wänden gebildet.
Nach einigen Metern konnte er aufrecht stehen, doch es blieb kaum ein Zentimeter zwischen Kopf und Decke. Der Tunnel wurde auch breiter, bis er die Seiten mit ausgestreckten Armen gerade noch so berühren konnte. Er watete in der Mitte und bemerkte die geringe Steigung gar nicht, bis ihm das Wasser nur noch bis zu den Fußknöcheln reichte. Kurze Zeit später entdeckte er weiter vorn das Gitter.
Vertikale Stangen reichten von der Decke bis zum Boden. Dicke Nieten verankerten den Rahmen des Gitters im Felsgestein.
Der Zustand der Gitterstäbe weckte Chanes Interesse.
Sie waren nicht neu, aber auch nicht durchgerostet oder abgenutzt. Salzwasser und Luft hätten eigentlich größere Spuren an ihnen hinterlassen müssen. Entweder war das Gitter jünger als der Tunnel oder man hatte es im Lauf der Zeit mehrmals ersetzt. Dann bemerkte Chane die Schließblende an der einen horizontalen Stange, die alle vertikalen kreuzte.
Sie war größer als seine Hand und wies weder einen Griff noch ein Schlüsselloch auf. Die leicht gewölbte Blende zeigte nur ein handtellergroßes Oval, heller als das übrige Eisen.
Chane hielt den Kristall näher und betrachtete das Oval. Mit den Fingernägeln kratzte er daran und entfernte Schmutz, bis ein deutlicher Glanz erkennbar wurde.
Nahezu weißes Metall, blass, aber glänzend wie Silber, reflektierte das Licht des Kristalls. Die eine saubere Stelle wirkte perfekt; das Salz hatte diesem Material offenbar nichts anhaben können. Es schien das gleiche Metall zu sein, aus dem das Bodenportal bestanden hatte, unter dem sich die Unterwelt der Zwerge erstreckte.
Chane kehrte rasch nach draußen
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