Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
diese Reaktion verunsicherte Wynn. Er wusste ganz offensichtlich, wer Erz-Locken in seine Dienste gerufen hatte, aber er hatte den jungen Zwerg trotzdem in den Kreis der Steingänger aufgenommen. Mit wie viel Verderbtheit bekam Wynn es hier zu tun? Wie viele Feinde umgaben sie, selbst dort, wo sie bisher keine vermutet hatte?
»Ihr habt nichts, mit dem ihr den Wrait aufhalten könnt«, sagte sie zu Chuillyon und achtete nicht auf die Herzogin. »Und der Stab funktioniert nur in meiner Hand.«
Der Elf kam die Treppe ganz herunter und setzte den Stab auf den Boden.
»Was hat es mit dem Kristall auf sich?«, fragte er. »Was macht er?«
Wynn betrachtete das Gewand des Elfen, dessen reines Weiß Unschuld suggerierte.
»Er enthält die Kraft der Sonne, ihre Art des Lichts«, antwortete sie. »Sonnenlicht ist … fatal für alle Untoten.«
»Dies habt Ihr also beim letzten Mal gegen den Wrait benutzt?«, fragte Chuillyon und drehte den Stab in seiner Hand.
»Ja«, bestätigte Wynn.
»Dann war es nicht besonders wirkungsvoll«, sagte der Elf.
»Schluss mit dem Unsinn!«, warf Asche-Splitter ein. »Wenn Ihr recht habt … Wie kann ein solcher Kristall angefertigt werden?«
»Das müsst ihr Domin il’Sänke fragen«, sagte Wynn.
»Wie praktisch!«, fauchte Reine. »Der Domin, von dem sie spricht, stammt vom sumanischen Zweig der Gilde. Und er ist heimgekehrt. Wir können ihn also nicht fragen.«
»Der Domin hat den Kristall für mich in der Gilde angefertigt«, fuhr Wynn fort. »Soweit ich weiß, fiel Premin Skyion fast in Ohnmacht, als sie von den Kosten erfuhr. Fragt sie … oder Premin Hawes, das Oberhaupt der Metaologie.«
»Und soweit ich weiß«, sagte die Herzogin, »hat dich die Gilde als Waisenkind aufgenommen, dich als eine von ihnen großgezogen und ausgebildet. Und das dankst du ihr jetzt mit solchem Unfug.«
Rote Flecken des Zorns bildeten sich auf Wynns Wangen.
»Der Wrait ist hier, weil er etwas will«, sagte sie. »Bis ihr nicht herausgefunden habt, worum es ihm geht, könnt ihr nicht wissen, wo er erscheinen und was er tun wird.«
»Und Ihr wisst darüber Bescheid?«, fragte Chuillyon.
»Ich kann euch helfen, wenn ihr mir helft«, erwiderte Wynn.
Asche-Splitter hob die dunklen Brauen. »Wie?«
»Gebt mir den Stab und meine Sachen. Erlaubt mir Zugang zu den Texten.«
»Nein!«, warf Reine ein.
»Dann sterbt ihr«, sagte Wynn schlicht. »Wahrscheinlich sterbt ihr ohnehin. Der Wrait will die Texte und wird alle töten, die sich ihm in den Weg stellen. Aber warum? Bis ich das herausfinde, kämpft ihr praktisch mit verbundenen Augen.«
Sie sah wieder Chuillyon an. »Könnt Ihr alte Sprachen lesen, zum Beispiel Iyindu, Heiltak, Altstrawinisch oder Belaskisch?«
Der Elf zuckte die Schultern. »Das eine oder andere.«
» Lüge! « , hauchte Chane hinter Wynn.
Was war gelogen? Konnte Chuillyon die alten Sprachen gar nicht lesen, oder vielleicht besser, als er behauptete?
»Seid Ihr dazu imstande?«, fragte der Elf. »Oder ist das eine weitere Prahlerei, auf die wir unsere einzige Überlebenschance setzen sollen?«
Wynn achtete darauf, keine Reaktion zu zeigen. Chuillyons Tonfall deutete darauf hin, dass er sich mit alten Sprachen auskannte, vielleicht sogar zu den Weisen gehörte. Nur dann konnte er darüber urteilen, ob sie »prahlte« oder nicht. Wenn er also imstande war, alte Sprachen zu lesen … Warum hielt er sich dann mit ihr auf?
Er versuchte, sie zu ködern, aber zu welchem Zweck?
»Ja«, antwortete sie. »Ich kann alte Sprachen lesen, gut genug, um etwas Nützliches zu entdecken. Immerhin bin ich in der Gilde aufgewachsen und ausgebildet worden.« Ein Blick zur Herzogin begleitete diese Worte.
Chuillyon schürzte die Lippen und schwieg.
Asche-Splitter wirkte plötzlich sehr ruhig. Er sah Chuillyon an, und der Elf nickte stumm.
»Ihr habt also versucht, die Texte vor diesem … Wesen zu erreichen«, sagte Asche-Splitter.
Damit sprach er Offensichtliches aus. Wynn wartete wachsam.
»Der Âthkyensmyotnes wird auch weiterhin versuchen, Euch aufzuhalten«, fügte Chuillyon nachdenklich hinzu.
»Nein!«, zischte Chane. »Ihr …«
»Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt!«, knurrte Asche-Splitter.
»Wynn«, flüsterte Chane, »sie versuchen …«
»Ich weiß«, sagte sie.
Der Wrait wusste, dass sie und die Texte an diesem Ort waren. Er hatte getötet, um Übersetzungen zu erlangen, die für eine saubere Abschrift zu Skriptorien in Calm Seatt gebracht worden waren.
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