Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
»Ja.«
Asche-Splitter streckte den Arm aus. »Nehmt meine Hand.«
Wynn zögerte kurz, bevor sie der Aufforderung nachkam – und dann geriet sie in Panik, als sie begriff, was bevorstand. Sie erinnerte sich daran, dass Asche-Splitter versucht hatte, den Wrait in die Wand zu ziehen, vielleicht mit der Absicht, ihn im Stein zu fangen. Hinzu kam: Asche-Splitter wusste, was Erz-Locken gerufen hatte, und er war trotzdem bereit gewesen, ihn in den Kreis der Steingänger aufzunehmen. Dennoch hatte Wynn die beide Zwerge zu diesem finsteren Ort begleitet.
Hier würde es ihnen leichtfallen, sie einfach verschwinden zu lassen. Niemand würde jemals erfahren, was aus ihr geworden war.
Asche-Splitters Gesicht sank in die feuchte Felswand.
Wynn riss die Augen auf, als sie beobachtete, wie er immer weiter im Gestein verschwand, das ihn zu fressen schien. Sie wollte sich losreißen, wurde aber zur Wand gezogen. Hinter ihr erklang eine scharfe Stimme.
»Atmet nicht!«, warnte Erz-Locken. »Haltet den Atem an, bis er zu Euch spricht!«
Wynn schnappte noch einmal nach Luft, und dann wurde alles schwarz und kalt.
Chane wartete in der Nähe des Portals, hinter Schatten, und blickte wie sie in den leeren Tunnel. Es gefiel ihm gar nicht, untätig zu sein; dadurch fühlte er sich unfähig und überflüssig. Er war so erschöpft, dass er das hungrige Wimmern des Ungeheuers in ihm nicht unterdrücken konnte.
Zwar hatte er sein Wort gegeben, bis zu Wynns Rückkehr zu warten, aber ein Versprechen Feinden gegenüber zählte nicht. An diesem Ort gab es zahlreiche Rätsel, und sie schienen mit jeder Nacht, die sie in diesem Zwergen-Seatt verbrachten, komplexer zu werden. Wynn war davon überzeugt, dass Erz-Locken mit einem seit langer Zeit toten Massenmörder in Verbindung stand, und es gefiel Chane ganz und gar nicht, dass sie sich ausgerechnet in der Gesellschaft dieses Zwergs befand.
Er wartete und versuchte, geduldig zu sein, sich keine Sorgen zu machen … und den Hunger zu verdrängen.
Es gelang ihm nicht.
Niemand war in dem Tunnel zu sehen, aber es ließ sich nicht feststellen, ob jemand in der Höhle an seinem Ende wartete. Chane spielte mit dem Gedanken, durch den Gang zu schleichen und einen Blick in die Höhle zu werfen, als er plötzlich einen Zwerg sah.
Eine Steingängerin näherte sich mit zwei Rucksäcken, blieb aber auf halbem Weg stehen, als jemand nach ihr rief. Der in Weiß gekleidete Elf folgte der Zwergin und reichte ihr einen dritten Rucksack, kehrte dann wieder um und verschwand. Als die Steingängerin das Portal erreichte, hielt sie Chane alle drei Rucksäcke mit der einen Hand entgegen und reichte ihm mit der anderen sein Schwert und Wynns Dolch.
Chane nahm alles entgegen, ohne dafür zu danken. Anschließend stellte die Zwergin auch noch eine Tasche ab und ging wortlos davon. Sie sah nicht zurück.
Chane legte die Rucksäcke neben den Stab mit dem Sonnenkristall und schnallte sich das Schwert an den Gürtel. Dann öffnete er die Tasche und stellte fest, dass sie einen Beutel mit Wasser, einen Laib Brot, etwas Dörrfleisch und einen Becher aus Holz enthielt. Er nahm ein wenig von dem Dörrfleisch, füllte den Becher mit Wasser und brachte beides zu Schatten.
»Hier«, sagte er und ging in die Hocke.
Sie knurrte ihn nicht an und schlabberte ein wenig Wasser. Chane legte das Dörrfleisch auf den Boden und wich zurück. Schatten schnappte danach, schlang es hinunter und wachte dann wieder am Portal.
Er kam nicht umhin, ihre Geduld zu bewundern. Mehr als einmal war sie dem Wrait entgegengesprungen und hatte ohne zu zögern versucht, Wynn zu schützen. Sie hatte an der Küste den verborgenen Zugang zur Unterwelt gefunden, als er nicht in der Lage gewesen war, die Suche fortzusetzen.
Schatten war ein besserer Gefährte als die meisten, die Chane kennengelernt hatte.
»Sie kommt zurück«, sagte er.
Schattens Ohren zuckten kurz, aber das war alles.
Er hoffte, dass Wynn bei ihrer Rückkehr Antworten mitbrachte, vielleicht auch in Hinsicht auf die Schriftrolle. Ihre Abwesenheit gab Schatten möglicherweise Gelegenheit, sich etwas mehr an ihn zu gewöhnen. Sie mochten natürliche Feinde sein, aber hier standen sie auf der gleichen Seite. Es ging um eine gemeinsame Sache, die allerdings immer komplizierter und verwickelter wurde: die unerfindlichen Lügen des Elfen; der Umstand, dass Asche-Splitter Erz-Locken trotz dessen Verbindung mit einem Massenmörder in der Gemeinschaft der Steingänger duldete; der
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