Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
oder zumindest eine Vorstellung davon gewinnen können, wo sich der Aufbewahrungsort befand, um später heimlich zurückzukehren.
Das alles war unmöglich.
Nur ein Steingänger konnte sie hierher- und wieder zurückbringen. Mit einem Bluff hatte sie sich Zugang zu den Texten verschafft, und jetzt musste sie Resultate erzielen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
»Hast ist unnötig«, sagte Erz-Locken und zog die erste Truhe hervor. »Wir wissen nicht, wann der … der Geist …«
»Wrait«, sagte Wynn.
»Wie Ihr meint. Wir wissen nicht, wann und wie er zurückkehrt.«
»Dessen bin ich mir bewusst. Holt die anderen Truhen und sucht nach Übersetzungsfolianten.«
Erz-Locken zog die zweite Truhe unter den steinernen Regalen hervor.
»Und ich brauche den Kodex«, fügte Wynn hinzu. »Das ist ein großes Buch, mit gewachsten Schnüren zusammengebunden. Ich benötige etwas, mit dem ich die Originale und ihre Reihenfolge entziffern kann, und ohne meine …«
Wynn unterbrach sich, als sie die erste Truhe öffnete.
»Was ist?«, fragte Erz-Locken. »Habt Ihr den Kodex gefunden?«
Ganz oben lagen fünf Bücher, die sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen hatte. Die weichen Ledereinbände waren abgegriffen und sehr vertraut.
»Meine Tagebücher«, flüsterte Wynn. »Meine gestohlenen Tagebücher.«
Erz-Locken sah in die Truhe. » Ihr habt sie geschrieben?«
Als die junge Weise nicht antwortete, wandte er sich ab und zog die dritte Truhe heran.
Für einen Moment wünschte sich Wynn nur, mit diesen fünf Tagebüchern zu verschwinden und sie an einem Ort zu verstecken, wo man sie ihr nicht wieder wegnehmen konnte.
»Ist er das hier?«, fragte Erz-Locken.
Wynn sah auf.
Er hob den dicken Kodex. Die dritte Truhe enthielt zusammengeschnürte Bündel, Übersetzungen wie die, die Wynn in der Gilde gesehen hatte. Es waren überraschend viele – aber vielleicht hatte sie vergessen, wie viel Arbeit geleistet worden war. Sie hatte einen ganzen Tag gebraucht, um die Übersetzungen flüchtig durchzugehen.
»Was ist hiermit?«, fragte Erz-Locken.
»Womit?«
Er griff in die Truhe und holte einen dünneren Band hervor, der aber ebenfalls von gewachsten Schnüren zusammengehalten wurde.
»Gebt mir das!«
Wynn riss ihm das Buch aus der Hand und öffnete es auf der Truhe. Es enthielt Einträge über die laufenden Übersetzungen, wie jene, die sie sich an jenem Tag in den Katakomben angesehen hatte. Wynn blickte auf die Bündel in der dritten Truhe hinab und entdeckte zwischen ihnen auch einige neue Folianten.
» Valhachkasej’â! « , fluchte sie.
Sie dachte an Skyion und vor allem an Hochturms Ablehnung ihr gegenüber. Zorn brodelte in ihr.
»Ihr … ihr zwei …«, stammelte sie.
Ihr fielen keine Worte ein, die das ganze Ausmaß ihres Ärgers zum Ausdruck brachten. Sie hielt einen zweiten Kodex in der Hand.
Die Gilde hatte ihr nicht alles gezeigt, nur so viel, wie sie nötig gehalten hatte, um Wynn zu bewegen, ebenfalls für die Geheimhaltung der Texte einzutreten.
»Was ist?«, fragte Erz-Locken.
Wynn rang um ihre Fassung. »Nichts«, zischte sie.
»Wirklich nicht? Ihr scheint aufgebracht zu sein.«
Sie wollte es ihm nicht erklären. Er und Asche-Splitter hatten sich in Hochturms Arbeitszimmer gegen das Übersetzungsprojekt ausgesprochen, und Wynn bezweifelte, dass er ihre Verbitterung verstehen konnte. Aber was derzeit viel wichtiger war: Es gab weitere fertige Übersetzungen, die ihr dabei helfen konnten, sich in den Originaltexten zurechtzufinden.
Sie nahm sich die zweite Truhe vor, um einen Eindruck von ihrem Inhalt zu gewinnen, und dann auch die erste, in der sie ihre Tagebücher gefunden hatte. Anschließend sah sie sich die steinernen Regale an, die zahlreiche Bücher und Bündel aus Li’käns Bibliothek enthielten.
»Was war das für ein Ort, an dem Ihr dies gefunden habt?«, fragte Erz-Locken.
Wynn dachte an jene lange, schlaflose Nacht zurück. Zusammen mit Chap hatte sie versucht, in der alten Bibliothek der bleichen Vampirin die Bücher und Schriftrollen auszuwählen, die noch gut erhalten waren und deren Inhalt ihr vielversprechend erschien. Ihre Freunde hatten dabei geholfen, das wenige zu tragen. Den weitaus größten Teil, jetzt eine halbe Welt entfernt, hatte sie zurücklassen müssen.
»Unglaublich alt«, antwortete Wynn. »So alt, dass die einzige Hüterin vergessen hatte, was Sprache ist, und dadurch auch ihre Stimme verloren hatte.«
Wynn schüttelte die Erinnerungen an die
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