Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)

von in Leder gekleideten Arbeitern zu. »Wisst ihr vielleicht …«
    Sie unterbrach sich und schnappte nach Luft, als sie jemand von hinten am Mantel packte.
    Wynn berührte den Boden nur noch mit Zehenspitzen, als sie jemand in Richtung Tür zog. Schatten knurrte laut, und Chane näherte sich mit finsterer Miene. Besorgt versuchte Wynn, sie fortzuwinken, bevor dies alles schlimm endete.
    Chanes Hand ruhte noch immer auf dem Schwertknauf, als Wynn wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Sie wirbelte herum, schwankte dabei ein wenig unter dem Gewicht ihres Rucksacks und sah sich einer breiten Zwergin gegenüber.
    »Wenn du dich unbedingt wie eine unhöfliche Idiotin aufführen willst, so sei dabei wenigstens leise«, sagte die Zwergin mit tiefer Stimme.
    Sie schnitt eine strenge Miene und strich ihre Schürze glatt.
    Chane zögerte voller Unbehagen, als sich zehn oder mehr verärgerte Gäste zu ihnen umdrehten. Schatten hörte auf zu knurren, als die Zwergin nach vorn zurückkehrte. Der Thänæ unterbrach seine Schilderungen und sah in Wynns Richtung.
    »Dann kam das Rudel heran!«, rief Hammer-Hirsch. »Ich dachte, ich bekäme es mit fünfzehn oder zwanzig von ihnen zu tun, aber Dutzende von ihnen stürmten aus dem Wald …«
    Wynn verdrehte die Augen.
    Dutzende? Wohl kaum. Manchmal waren Siedlungen weit in Malournés Osten von Kobolden angegriffen worden, aber nie hatte ein Rudel aus mehr als zehn oder zwölf von ihnen bestanden. Ihr Ärger wuchs.
    Wenn ihr keiner der hier versammelten Zwerge mit einer Auskunft half … Wen sollte sie sonst fragen, mitten in der Nacht? Doch während der Thänæ erzählte, schien niemand bereit zu sein, sie auch nur anzuhören. Und das dramatische Gebaren des Erzählers deutete auf die Bereitschaft hin, bis zum Morgen weiterzumachen.
    Chane zeigte zur Tür.
    Wynn seufzte, nickte und spürte, wie sich neuer Ärger in ihr regte, als sie die Erleichterung in Chanes Gesicht sah. Für einen heimatlosen Wanderer neigte er zu erstaunlich elitärem Denken.
    »Immer wieder schwang ich die Axt«, rief Hammer-Hirsch, »und erledigte die ersten zehn, die mich erreichten. Aber mein unverschämter Mut, ihnen allein gegenüberzutreten, führte dazu, dass sie mir zahlenmäßig weit überlegen waren. Ich wusste, dass ich dort sterben würde, und ich wollte möglichst viele von ihnen zu unseren Vorfahren mitnehmen.«
    Er legte eine neue Pause ein, und als sich Wynn der Tür zuwandte, hörte sie, wie er aus einem anderen Krug trank.
    »Dann kam mir jemand zu Hilfe, eine bleiche Frau mit zerzaustem schwarzen Haar, die plötzlich aus dem Nichts erschien.«
    Wynn blieb stehen und fröstelte plötzlich, wie von Gletscherkälte berührt.
    Eine bleiche Frau mit zerzaustem schwarzen Haar …
    Ein Bild der nackten, bleichen Li’kän entstand vor ihrem inneren Auge. Magiere hatte die alte Untote in der Höhle mit der Kugel eingeschlossen, tief unter dem eisigen Schloss, aus dem die alten Texte stammten.
    Li’kän war eine von dreizehn »Kindern« des Alten Feindes mit vielen Namen, vielleicht eine der ersten Vampire in der vergessenen Zeit. War sie entkommen? Hatte sie es irgendwie geschafft, ihre Welt aus Schnee und Eis zu verlassen und hierherzukommen, auf diesen Kontinent?
    »Auf Numanisch rief sie mir zu, Platz zu machen«, intonierte der Thänæ.
    Wynn drehte sich verwirrt um.
    Li’kän war von der Macht der Sprache fasziniert gewesen, hatte aber nach all den Jahrhunderten nicht mehr sprechen können.
    »Ihre lange Klinge«, fuhr Hammer-Hirsch fort, »hatte nur eine Schneide und war zu schwer für ihre Statur. Aber die bleiche Frau schwang sie, als wäre sie leicht wie der Federkiel eines Schreibers. Ein blutrotes Schimmern lag in ihren Locken.«
    Wynn erzitterte. Der Thänæ sprach von Magiere!
    »Noch bevor ich begriff, woher die Bleiche kam, und warum, sprang sie plötzlich an meine Seite …«
    Wynn schob Chane aus dem Weg und drängte zwischen den Tischen nach vorn.
    »Dann kam ein silberner Wolf, größer als andere Wölfe, und auch er eilte mir zu Hilfe …«
    Wynns Mund klappte auf, aber sie brachte keinen Ton hervor. Jetzt erzählte Hammer-Hirsch von Chap, und sie hatte plötzlich Tränen in den Augen.
    »Schließlich sprang auch noch ein Elf aus dem Wipfel des nächsten Baums und lief auf mich zu …«
    »Wo?«, platzte es aus Wynn heraus. Hastige Schritte trugen sie zum Podium. »Wo habt Ihr sie gesehen?«
    Stille breitete sich im Begrüßungshaus aus.
    Hammer-Hirsch unterbrach sich