Dhampir: Steinerne Flut (German Edition)
ihren Stühlen hin und her, wie Kinder, die sich langweilten, aber alle blieben still und hörten Wynn zu.
»Er gehörte zu den sogenannten Edlen Toten, den höchsten und mächtigsten Untoten. Ein Upér oder Upír war er, ein Vampir, jemand, der das Blut der Lebenden trank. In jenen kalten, weißen Bergen versuchten wir, den Schatz zu finden, bevor er ihn entdeckte.«
Wynn lief auf dem Podium hin und her, als sie all die Mühe und Gefahren im Gebirge beschrieb. Sie wandte sich ans ganze Publikum, vermied es aber, Hammer-Hirsch anzusehen. Nach einer Weile legte sie eine Pause ein, und Stille breitete sich aus. Sie begegnete dem ruhigen Blick einer Zwergin, die an der Rückseite von Hammer-Hirschs Tisch saß.
Wynn trat vom Podium herunter und langte an Hammer-Hirsch vorbei nach dem Krug der Frau.
Niemand versuchte sie daran zu hindern. Sie nahm den Krug, hob ihn und trank einen Schluck, ließ ihn dann auf den Tisch knallen, neben den des Thänæ. Sie versuchte es jedenfalls, aber es klang eher so, als hätte sie den Krug fallen gelassen.
Bier schwappte auf den Tisch.
Die Zwergin zog ihre Stirn kraus und schüttelte Schaum von den dicken Fingern. Die anderen Zwerge am Tisch grinsten, und Wynn kehrte aufs Podium zurück.
»Eines Nachts während unserer Suche verirrte ich mich in einem Schneesturm«, fuhr die junge Weise fort. »Aber Chap, der silberne Vater meiner Weggefährtin …« Sie deutete auf Schatten. »… fand mich. Zusammen suchten wir in einer steinernen Rinne Zuflucht, um dort das Ende des Schneesturms abzuwarten.« Sie sprach etwas lauter. »Aber es war dumm von uns, zu glauben, der Sturm sei unser schlimmster Feind. Wir hörten ein Geräusch ganz unten in der Rinne, und plötzlich erschienen zwei Anmaglâhk, zwei Diebe des Lebens, Angehörige einer Elfenkaste von Assassinen. Sie schlichen auf uns zu, um uns zu ermorden!«
Ein Teil der Anspannung wich aus Chane, und dafür wuchs seine Aufmerksamkeit. Er wusste nur wenig von Wynns Reisen und fast gar nichts über ihre Zeit in den Pockenhöhen. Er hatte erfahren, was aus den beiden Elfen geworden war, denn er hatte ihre Leichen gesehen. Aber dass sie Wynn so nahe gekommen waren, hörte er jetzt zum ersten Mal.
Ein leises Brummen ging durch die Menge der versammelten Zwerge. Ärger regte sich in Chane und verschwand wieder, als er ihre Gesichter sah.
Die Erwähnung elfischer Assassinen schien sie zu verwundern, und nicht wenige der Zuhörer wirkten ungläubig. Aber dann setzte sich der Abscheu den Elfen gegenüber in den skeptischen Gesichtern durch, als die Zwerge Wynns Erzählung akzeptierten. Die Vorstellung von Elfen-Assassinen, die sich im Dunkeln bewegten, heimlich und verschlagen, schien den Zwergen ganz und gar nicht zu gefallen. Chane erinnerte sich an Wynns Hinweis darauf, Waffen ganz offen zu tragen, als ein Zeichen von Ehre und Tugend.
»Bis dahin hatten wir nicht gewusst, dass auch die Elfen des Ostens nach dem Schatz suchten. Chap ist ein guter Kämpfer, wie Hammer-Hirsch euch erzählt hat, aber selbst ihm wäre es schwergefallen, mit ausgebildeten Assassinen fertigzuwerden. Sie waren leise wie ein Windhauch in der Nacht und hielten ihre Dolche so, als wären sie damit geboren. Ich muss zugeben, dass ich es mit der Angst zu tun bekam.«
Wynn trat erneut zu Hammer-Hirschs Tisch und streckte diesmal die Hand nach einem näheren Krug aus, aber der Thänæ hielt ihn fest.
»Ein anderer Krug wäre besser«, sagte Hammer-Hirsch leise und richtete dann einen verärgerten Blick auf den triefäugigen Besitzer des Krugs.
Der zerlumpte, struppige Mann blinzelte verwirrt. Dann erschrak er und zog den Krug zurück.
Chane beobachtete das Geschehen erstaunt. Die Zwerge konnten viel vertragen, aber dieser schien ziemlich betrunken zu sein.
Wynn nickte Hammer-Hirsch respektvoll zu, nahm einen anderen Krug und trank einen Schluck. Plötzlich begriff Chane, was passiert war.
Der Krug des betrunkenen Zwergs enthielt Methylalkohol – Wynn wäre in große Gefahr geraten, wenn Hammer-Hirsch nicht eingegriffen hätte. Chanes Unbehagen nahm zu, denn er fürchtete um Wynns Sicherheit. Gleichzeitig musste er sich eingestehen, dass sie mit ihrer Erzählung besser zurechtkam, als er erwartet hatte.
»Doch als die mörderischen Elfen mit dem Aufstieg begannen«, fuhr die junge Weise fort, »strich ein schwarzer Schatten über sie hinweg.« Sie hob einen Arm und hielt sich den Ärmel unter die Augen. »Ich hob den Kopf und sah den durchsichtigen Geist eines
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