Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
gemacht, die verschnürte Mappe aufzubinden.
Die Blätter befanden sich noch alle in ihrem Innern, aber das spielte keine Rolle. Es waren Fälschungen, von Hochturm und a’Seatt zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise hatten sie ihm helfen wollen, den Mörder zu fassen.
Rodian hob den Blick und starrte in die Dunkelheit jenseits des Laternenscheins.
Hatte der entkommene Fremde gemerkt, dass es sich um Fälschungen handelte? Und wie hatte er während seiner Flucht die Mappe öffnen und sich ihren Inhalt ansehen können?
»Ruben und Lúcan dürften inzwischen den zweiten Mann verhaftet haben«, sagte Garrogh. »Vielleicht bekommen wir Antworten von ihm.«
Rodian nickte wortlos, drehte sich um und kehrte zusammen mit seinem Stellvertreter im Dauerlauf zum »Aufrechten Federkiel« zurück. Als sie sich dem Skriptorium näherten, wurden sie langsamer.
Vier Wächter lagen auf der Straße.
Nur Lúcan war noch auf den Beinen und stand mit dem Schwert in der Hand neben Wynn, die kniete und Rubens blutende Schulter verband.
Shâth lag in einer großen Blutlache, die Glieder von sich gestreckt.
Ein ganzes Stück von dem Laden entfernt lag Ecgbryht, den Kopf zur Seite gedreht. Aus seinem Gesicht war fast alle Farbe gewichen, und der blonde Stoppelbart zeichnete sich auf der blassen Haut ab. Die fratzenhaften Züge brachten Entsetzen zum Ausdruck, und graue Strähnen durchzogen das Haar. Taméne lag dort, wo ihn der Fremde niedergeschlagen hatte, das Genick gebrochen, die Augen offen.
Und der bleiche Mann war nirgends zu sehen.
»Wo ist er?«, knurrte Rodian. »Wo ist der andere?«
»Frag sie!«, erwiderte Lúcan scharf und stieß die junge Weise mit der Stiefelspitze an.
Wynn hielt ein Stoffbündel, das offenbar von einem Wappenrock stammte, an Rubens blutende Schulter. Sie sah nicht auf.
»Was habt Ihr jetzt wieder angestellt?«, fragte Rodian.
Wynns Schultern wölbten sich nach vorn, und für einen Moment schien es, als könnte sie vor Erschöpfung zusammenbrechen. Dann schloss sie die Augen und seufzte.
»Mögen die Götter Euch verdammen!«, entfuhr es Rodian. Es war ihm gleich, was die anderen dachten. »Hiermit seid Ihr verhaftet.«
Wynn stopfte das Stoffbündel vorsichtig in Rubens aufgeschnittenen Wappenrock. Sie stand auf und sah Rodian an, der aus dem Augenwinkel eine Bewegung bemerkte und herumwirbelte.
Eine dunkle Gestalt trat aus den noch dunkleren Schatten unter der Markise des nächsten Ladens. Rodian hob sein Schwert und näherte sich vorsichtig der Gestalt, die einen schwarzen Mantel und einen Hut trug.
Dann erkannte er den Neuankömmling. Es war Pawl a’Seatt.
Auf seinem Kopf saß ein flacher Hut, mit einer Krempe fast so breit wie die Schultern.
Sein Blick glitt über die Toten und verharrte beim zerbrochenen Fenster des Skriptoriums.
»Was macht Ihr hier?«, fragte Rodian. »Ihr und Eure Schreiber sollten diesem Ort fernbleiben, bis Ihr von mir hört.«
Meister a’Seatt antwortete nicht.
»Habt Ihr den Hund gefunden?«, flüsterte Wynn.
Rodian starrte sie ungläubig an. Wynn sah die Straße entlang und wirkte dabei wie ein Kind, das sich verlaufen hatte. Rodian konnte kein Mitleid für sie aufbringen.
Er hatte versagt, trotz der sorgfältigen Vorbereitungen. An diesem Abend waren sie hier nicht einem Verbrecher begegnet, sondern zwei, und beide waren entkommen. Drei seiner Männer hatten den Tod gefunden, und ein weiterer war verletzt, ohne dass sie bei ihren Ermittlungen weitergekommen waren.
Bis auf eine Sache: Offenbar gab es eine Verbindung zu dieser seltsamen jungen Weisen.
»Kümmere dich um die Männer, Garrogh«, knurrte Rodian. Dann ergriff er Wynn am Arm und zog sie mit sich über die Straße.
11
Wynn saß allein in ihrer Zelle im militärischen Schloss und starrte auf eine dicke Holztür ohne Klinke. Bei den Leitern der Gilde war sie auch so schon schlecht angeschrieben, und die Verhaftung würde ihr auch den letzten Rest von Glaubwürdigkeit nehmen. Sie atmete tief durch und versuchte vergeblich, sich zu beruhigen.
Eine schwarze Gestalt, die durch Wände gehen konnte, hatte einen Folianten gestohlen und drei Shyldfälches getötet. Die Stadtwächter hatten den Fremden nicht aufhalten können, was Wynn in ihrer Überzeugung bestärkte, dass er sich um einen Untoten handelte, der noch dazu ein mächtiger Magier war.
Und Chane war in der Gesellschaft dieses Ungeheuers aufgetaucht, so wie er zuvor mit Welstiel zusammen gewesen war.
Und Chap … Aus dem Dunkeln war
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