Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
schmale, faltige Hand auf die Schulter, bevor sie sich an Rodian wandte.
»Danke, dass Ihr Euch um sie gekümmert habt, Hauptmann.«
Enttäuschung breitete sich in Wynn aus. Die Premin dankte Rodian dafür, dass er sich um sie »gekümmert« hatte? Sie wurde also erneut als eine Verrückte dargestellt, damit ihr niemand Glauben schenkte.
»Es tut mir leid, dass die Bemühungen des heutigen Abends vergeblich blieben«, sagte Skyion zu Rodian und warf Hochturm dabei einen finsteren Blick zu.
Wynn vermutete, dass die Premin nicht in den von Hochturm, Rodian und a’Seatt geschmiedeten Plan eingeweiht gewesen war.
In Rodians Gesicht zeigte sich Abscheu, und er warf Wynn einen kurzen Blick zu.
»Ihr könnt gehen«, sagte er.
Einfach so. Zuerst verhaftete er sie, steckte sie in eine Zelle und stellte ihr Fragen, auf die er gar keine ehrliche Antwort wollte und die kaum etwas mit dem zu tun hatten, was wirklich geschehen war. Und nach ein paar herablassenden Worten von Skyion wurde sie nach Hause geschickt.
Wynn fragte sich plötzlich, was Magiere in diesem Moment gesagt hätte. Wahrscheinlich nichts. Aber sowohl der Premin als auch dem Hauptmann wäre es schlecht ergangen. Magiere wich nie vor irgendetwas zurück. Sie reagierte mit Zorn, wenn etwas in ihren Weg geriet oder jene bedrohte, die ihr etwas bedeuteten. Und Leesil konnte trotz seiner Freundlichkeit sehr böse werden, wenn es darum ging, Freunde zu schützen. Was Chap betraf …
Er hatte Andere immer beeinflusst und manipuliert, mit guten Absichten. Er zögerte nicht, Leute in Schwierigkeiten zu bringen, wenn es zu ihrem Besten war.
Wynn ahnte, dass die gegenwärtige Situation eine Mischung aus all diesen Fähigkeiten erforderte.
»Ich bitte um Entschuldigung, wenn es dumm klingen mag«, sagte sie. »Aber haben wir es noch immer mit Mordermittlungen zu tun?«
»Die dich nie etwas angingen«, warnte Hochturm.
Premin Skyion griff nach Wynns Arm. »Komm, meine Liebe. Du hast genug hinter dir, und niemand von uns möchte dich noch mehr belasten.«
Wynn schüttelte die Hand ab und wich zur Tür des Arbeitszimmers zurück.
»Dem Hauptmann ist es heute Abend nicht gelungen, den Mörder zu fassen, und weitere Menschen sind gestorben. Wegen des Inhalts eines Folianten. Ich will Zugang zu den Übersetzungsarbeiten, damit ich feststellen kann, um welche Texte es an diesem Abend ging.«
»Nicht schon wieder!«, knurrte Hochturm ungläubig. »Du hast schon genug angerichtet!«
»Vielleicht passt es dir nicht, dass eine einfache Reisende einen historischen Schatz entdeckt hat«, zischte Wynn, und ihre Stimme klang jetzt drohend. »Ist dein Stolz sieben Leben wert?«
Premin Skyion erblasste, und das zur Schau gestellte Mitgefühl verschwand aus ihrem Gesicht. In Hochturms Augen blitzte Zorn.
Rodian hörte aufmerksam zu.
»Wynn!«, grollte der Zwerg. »Dies ist kein geeigneter Moment für deinen Unsinn. Knöpf deinen Mantel zu. Wir gehen heim.«
»Ja, meine Liebe«, fügte Skyion hinzu. »Es wird Zeit, dass wir nach Hause gehen.«
Wynn rührte sich nicht von der Stelle. Ihr war es gleich, ob man sie für verrückt hielt. Es gab nur noch eine Möglichkeit, und sie war entschlossen, Gebrauch davon zu machen, auch wenn es vielleicht bedeutete, dass man sie aus der Gilde verstieß.
»Ich will meine Tagebücher aus den Fernländern zurück«, sagte sie offen und direkt. »Ich will zurück, was mir gehört, und zwar sofort !«
Niemand sprach ein Wort. Selbst Hochturm schwieg und starrte sie groß an. Premin Skyion musterte sie mit mehr Strenge, als Wynn für möglich gehalten hätte. Rodian sah Wynn an, und in seinem Blick lag keine Ablehnung mehr, sondern neues Interesse.
»Du bist eine Katalogisiererin der Gilde … «, begann Skyion, und die Schärfe in ihrer Stimme passte nicht recht zu ihrem würdevollen Gehabe.
»Wenn ihr mir meine Tagebücher nicht zurückgebt, verklage ich euch auf Herausgabe der Texte«, sagte Wynn. »Ich habe sie gefunden und quer durch die halbe Welt hierher gebracht. Ich habe der Gilde gestattet , sich mit ihnen zu befassen. Aber sie gehören mir ; das Recht der Entdeckung macht sie zu meinem Eigentum.«
Hochturm fand seine Stimme wieder. »Es waren Entdeckungen in den Diensten der Gilde!«, knurrte er. »Was du bist, verdankst du uns, und deshalb gehören die Texte der Gilde. So will es das Gesetz.«
»Ich kenne kein derartiges Gesetz«, sagte Rodian ruhig.
Skyion sah den Hauptmann an, und wieder folgte eine drückende Stille.
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