Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
der einen Granitblock gehoben hatte. Baron Âdweard Twynam und sein Sohn Jason standen bei ihm und beugten sich vor.
»Sieht gut aus«, sagte der Baron. »Ich hoffe, die neuen halten besser.«
Der Zwerg schnaufte verächtlich. »Wind und Wetter wirken sich immer aus, auch wenn es Jahre dauert.«
Als sich Rodian näherte, setzte der Zwerg den Granitblock mit einem deutlich hörbaren Poltern auf den Boden.
»Siweard«, sagte der Baron mit einem Lächeln. »Freut mich, dich zu sehen.«
Baron Âdweard Twynam war groß und im Alter hager geworden. Haar und Bart waren gepflegt und stahlgrau. Die geputzten Stiefel, der blaue Kasack und der Wollmantel kleideten ihn perfekt, und das Lächeln erreichte auch die Augen. Sein Sohn bildete einen auffallenden Kontrast zu ihm.
Jason war kaum einen Kopf größer als der Zwerg und wirkte recht robust. Das dichte, dunkle Haar reichte ihm bis auf die Schultern, und die Haut war so dunkel wie die seiner Mutter. Er lächelte nur dann, wenn er sich bei irgendetwas im Vorteil glaubte. Der Blick seiner fast schwarzen Augen huschte hin und her, wie auf der Suche nach einer günstigen Gelegenheit, sich einem anderen gegenüber einen Vorteil zu verschaffen.
Rodian merkte, dass Âdweard ihn aufmerksam musterte.
»Was ist los, mein Freund?«, fragte der Baron.
»Ist jemand drin?«, erwiderte Rodian.
»Nein. Abgesehen von Pastor Taultian und seinen beiden Akolythen. Heute finden keine Versammlungen statt. Jason und ich wollten hier nach dem Rechten sehen und feststellen, wie die Arbeiten vorankommen.«
»Können wir drinnen miteinander reden? Es ist etwas passiert.«
»Natürlich.« Der Baron nickte dem Steinmetz zu. »Ihr habt alles gut unter Kontrolle, Meister Randmacher. Schickt die Rechnung dem Heiligtum. Ich werde dafür sorgen, dass sie umgehend beglichen wird.«
Der Zwerg nickte kurz und wandte sich mit Anweisungen an die beiden Männer, die mit ihm arbeiteten.
Die Rückseite des Tempels zeigte zum Meer, und dort hatten Stürme und salzige Luft ihre Spuren hinterlassen. Die letzte Instandsetzung lag viele Jahre zurück, und deshalb war es nötig geworden, den einen oder anderen Steinblock zu ersetzen. Jetzt war alles perfekt, wie es sich für den Tempel gehörte.
Âdweard klopfte Rodian auf die Schulter. »Komm. Wir trinken Tee. Meine alten Knochen könnten etwas mehr Wärme vertragen.«
Zusammen mit Jason gingen sie zur Vorderseite des Tempels und an den Säulen vorbei durch den breiten Eingang. Sie traten direkt in den Hauptraum des Heiligtums.
Der Hartholzboden wurde jede Woche auf Hochglanz poliert, ebenso die Tische, die sich auf beiden Seiten bis zum bühnenartigen Altar erstreckten. Rodian sah sich vergeblich nach Pastor Taultian und seinen Akolythen um. Am anderen Ende des Gebäudes, auf dem Podium, standen drei lebensgroße Statuen aus weißem Marmor.
Ein Mann in der Kleidung eines gewöhnlichen Arbeiters stand hinter einer Frau mit einem Buch in den Armen. Vor ihnen sah Rodian ein Kind mit langem Haar, zu jung, als dass man das Geschlecht hätte bestimmen können.
Der Arbeiter, die Schöpferin und der Träumer.
Swenen der Vater – der Arbeiter – sammelte das Vergangene und erfüllte die Bedürfnisse der Mutter. Wyrthana die Mutter – die Schöpferin – kümmerte sich um das, was die Gegenwart erforderte. Und Méatenge das Kind – der Träumer – stellte sich die Zukunft vor.
Die Dreieinigkeit symbolisierte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aller vernunftbegabten Wesen. In ihrem akademischen Übereifer erkannten die Weisen zu viel in dem, was sie entdeckten. Sie ließen sich von Spekulationen in die Irre führen. Leben und Vernunft hatte es immer gegeben, gewachsen aus dem ersten Keim der Intelligenz am Anfang der Zeit, und beides würde für immer wachsen.
Es hatte nie einen »großen Krieg« auf der Welt gegeben.
Solche Interpretationen gefundener Relikte schufen nur Furcht und störten die natürliche Ordnung. Es war eine absurde Vorstellung – Arbeiter, Schöpferin und Träumer hätten so etwas nie zugelassen.
Bevor sie den Hauptraum betraten, verharrten die drei Männer kurz und flüsterten zusammen.
»Beim Arbeiter … « Sie hoben die eine Hand und drehten sie, mit den Fingern nach oben.
»Bei der Schöpferin … « Sie schlossen die Hand langsam, als ergriffen sie etwas in der leeren Luft.
»Und beim Träumer … « Dabei zogen sie die geschlossene Hand zur Stirn.
»Gesegnet seien alle, die sich mit Herz, Verstand und offenen Augen in
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