Dhampir: Vergessene Zeit (German Edition)
Gemeindemitglieder zugegen. Zuerst haben wir in der ›Fülle des Meeres‹ zu Abend gegessen, und dann sind wir hierher in den Tempel gegangen. Später am Abend kehrten wir nach Hause zurück.«
»Wie spät?«
»Gegen Mitternacht, um die vierte Glocke. Viel zu spät für den alten Taultian. Er zog sich schon früher am Abend zurück.«
Rodian konnte ein erleichtertes Seufzen nicht zurückhalten.
In gewisser Weise galt für Jason das Gleiche wie für Selwyn Midton: Sein Alibi entlastete ihn nicht. Er konnte jemanden beauftragt haben, Elias umzubringen. Die Aussage eines Vaters zählte in diesem Zusammenhang nicht viel, aber es war wenigstens ein Anfang. Auf Jason lastete der Vorwurf, einem jungen Weisen gedroht zu haben, und Verbrechen aus Leidenschaft wurden normalerweise nicht von Meuchelmördern verübt.
»Du hast mein Wort«, sagte Âdweard. »Und natürlich kannst du auch andere Gemeindemitglieder fragen.«
Rodian nickte und winkte ab. Jason war kaum ein Vorbild für die Gemeinde, neigte zu Verschlagenheit und Arroganz. Aber Rodian hielt den Sohn von Baron Twynam nicht für fähig, einen so kaltblütigen und brutalen Mord zu begehen. Ein eingebildeter Fatzke, ja, aber ein Mörder? Wohl kaum.
»Ich brauche schriftliche Aussagen von euch beiden«, sagte er. »Und auch eine von Pastor Taultian. Das sollte für den Fall genügen, dass Jasons Rolle bei dieser Angelegenheit noch einmal zur Sprache kommt. Wenn ich den Fall bald löse, werden die Aussagen zu den Akten gelegt, ohne dass sie Aufmerksamkeit erregen.«
Jason schnaufte leise und wandte seinen empörten Blick ab.
»Danke.« Âdweard seufzte. »Zwei junge Weise wurden ermordet. Warum nur? Was könnte deiner Meinung nach dahinterstecken?«
»Es geht dabei um irgendwelche Texte«, antwortete Rodian. »Hast du etwas von einem Übersetzungsprojekt der Gilde gehört?«
Der Baron zog die Stirn kraus. »Es gibt Gerüchte über einen Fund, aber mehr weiß ich nicht. Die königliche Familie ahnte nicht, wie verblendet die Weisen und ihre Ideen sein können. Wenn nicht die öffentlichen Schulen wären, müsste man sich fragen, warum die Gilde noch vom König finanziert wird.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn dieses Projekt den Tod von zwei Weisen verursacht hat, sollte man ihm vielleicht ein Ende setzen.«
Rodian blinzelte und stand nachdenklich auf.
Bestand das Motiv des Täters vielleicht nicht darin, sich in den Besitz der Folianten zu bringen, sondern vielmehr in der Zerstörung der Texte? Das war eine neue Möglichkeit. Bisher hatte er nur an Habgier oder den Wunsch nach geheimem Wissen gedacht.
Âdweard verstand die wahre Bedeutung seiner Worte gar nicht und hatte allein von einem intellektuellen Standpunkt aus gesprochen. Bei näherem Überlegen hielt Rodian das neue Motiv für unwahrscheinlich. Die Zerstörung der von den Schreibern angefertigten Kopien ließ ihre Originale in der Gilde ebenso intakt wie die Notizen der Weisen.
»Können wir dich zu einem späten Mittagessen in die ›Fülle des Meeres‹ einladen?«, fragte Âdweard.
»Danke, nein«, erwiderte Rodian. »Ich sollte mich besser auf den Rückweg machen, denn mich erwarten andere Pflichten in der Kaserne. Bringt eure Aussagen Leutnant Garrogh, bevor ihr sie unterschreibt.« Er zögerte und drehte sich um. »Jason … Ich bitte um Entschuldigung, aber ich versuche, dich zu schützen. Halte dich von Elvina fern, bis dies vorbei ist.«
Die verdrießliche Arroganz fiel von Jason ab, und er nickte. »Ich habe nur an Elvinas guten Namen gedacht.«
Nein, du hast vor allem an dich selbst gedacht, fuhr es Rodian durch den Sinn, aber er behielt diesen Gedanken für sich. Er glaubte nicht, dass Jason der Mörder war.
»Wir sehen uns bei der nächsten Messe.«
Er verließ das Pastorenzimmer, blieb kurz vor dem Altar stehen und kehrte dann zu Schneevogel zurück.
Âdweards Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf.
Wenn dieses Projekt den Tod von zwei Weisen verursacht hat, sollte man ihm vielleicht ein Ende setzen.
7
Wynn platzte in ihr Zimmer und eilte sofort zum Schreibtisch, ohne die Tür zu schließen.
Doch auf halbem Weg blieb sie stehen und sah zur Truhe. Sie änderte die Richtung, sank vor der Truhe auf die Knie und hob den Deckel.
Ihr Blick fiel auf mehrere Gegenstände, die von ihren Reisen stammten, doch ihr Interesse galt einem ganz bestimmten, einem besonderen Federkiel mit einer Spitze aus Metall. Sie hatte ihn während ihres Besuchs bei den An’Cróan von einem der
Weitere Kostenlose Bücher