Dhana - Im Reich der Götter
schon meine eigenen Chancen, wenn
du nichts dagegen hast.« Sie kämpfte gegen ein plötzliches Schwindelgefühl an.
Vorsichtig setzte sie sich aufs Bett, als Numair den Rasierschaum vom Gesicht
abwusch und sich abtrocknete. »Wirst du wenigstens darüber nachdenken?«, fragte
er und hängte das Handtuch über den Fenstergriff. »Nein.«
»Dhana ...« Er hielt den Spiegel hoch und betrachtete
sein Gesicht. Er verzog die Stirn und hielt Dhana den Spiegel vor die Nase.
»Was siehst du?«
An Stelle ihres Spiegelbildes zeigte das Glas eine
Schlacht. Sir Raoul vom Heer des Königs, Buri von der Reiterei der Königin und
eine gemischte Truppe aus Soldaten des Königs und der Reiterei der Königin
kämpften in einem Tempelbezirk. Ihnen gegenüber standen carthakische Krieger in
karmesinrotem Lederzeug. Von oben stießen seltsame Wesen herab und griffen die
Krieger aus Tortall mit langstieligen Äxten an. Dhana hielt die Luft an: Es war
eine Art fliegender Affen mit Fledermausflügeln, ihr langes, schwarzes Fell von
grauen Streifen durchzogen. Das Bild verschwand. Numair legte den Spiegel mit
zitternden Händen weg. Leise beschrieb ihm das Mädchen, was es in dem
flirrenden Licht des Sonnenvogels gesehen hatte. »In den Göttlichen Reichen
können wir auch die Angelegenheiten der Sterblichen beobachten«, sagte
Breitfuß, der ins Zimmer gewatschelt kam. »Flüssigkeit eignet sich am besten,
aber Flammen und Spiegel tun's auch. Sterbliche, die uns besuchen, erzählen
uns auch, dass sie im Schlaf, kurz bevor sie aufwachen, manchmal bestimmte
Unterhaltungen hören können.« Numair nahm den Spiegel zur Hand und setzte sich
aufs Bett. »Wir werden unsere Plauderei später beenden«, sagte Dhana zu ihm und
stand auf. »Ich bin noch nicht fertig mit dir!« Er hörte ihr nicht zu. Seufzend
verließ sie das Zimmer. Der Tier-Gott folgte ihr in ihr eigenes Zimmer. »Geht
es dir gut?« »Ich bin nur müde, das ist alles.« Sie setzte sich aufs Bett und
rieb sich das Gesicht. »Vielleicht war es doch nicht das Klügste, an meinem ersten
Tag außerhalb des Bettes diese Anhöhe hinaufzuklettern.«
Der Entenmaulwurf verschwand vom Boden und erschien
wieder auf der Bettdecke neben ihr. Dhana achtete sorgfältig darauf, ihn nicht
zu stoßen, und legte sich zurück. »Ausgerechnet jetzt muss Numair sich als
Beschützer aufspielen. Vielleicht hat er etwas gegessen, was ihm nicht bekommen
ist.« Sie schloss die Augen.
»Vielleicht liebt er dich«, meinte Breitfuß. Das hörte
sie nicht. Sie war bereits eingeschlafen.
In ihrem Traum näherte sich ihr ein fahler Wolf. Statt
der buschigen Rute, die seinesgleichen stolz trug, war sein Schwanz dünn und
glich einer Peitsche. »Rattenschwanz!«, schrie Dhana und rannte der früheren
Leitwölfin des Rudels entgegen, das geholfen hatte den Mord an Sarra zu
rächen. Es schien keine Rolle zu spielen, dass Rattenschwanz schon lange tot
war oder dass dieses grässliche Weibchen Frostpelz ihren Platz im Rudel eingenommen
hatte.
Als die Wölfin nahe herangekommen war, machte sie
kehrt und lief davon.
»Warte!«, rief Dhana und folgte ihr.
Rattenschwanz führte sie einen langen, dunklen Gang
entlang und blieb vor einer verschlossenen Tür stehen. Als das Mädchen sie
erreichte, hielt die Wölfin eine Pfote an ihre Schnauze, als wolle sie sagen:
»Psst!« Dhana kniete nieder und presste ihr Ohr an die Tür.
»Gainel, du machst dir zu viel Sorgen um Uusoaes
Macht.« Obwohl Dhana diese dröhnende Stimme noch nie zuvor gehört hatte, wusste
sie, dass der Sprecher Mithros war, der Sonnen- Gott, der Herr der Götter. »Wir
haben sie immer in Schach gehalten. Sie hat nicht die Macht die Grenze zwischen
ihrem und unserem Reich zu durchbrechen.«
»Wenn sie keine Macht hat, wieso kann sie sich dann
zum ersten Mal seit Tausenden von Jahren gegen dich behaupten?« Dhana
unterdrückte einen Ausruf. Das war Carthaks Patronin, die Friedhofshexe. »Sie
wendet Tricks an, die wir noch nie zuvor erlebt haben, und das gefällt mir
nicht. Du jedoch kämpfst auf die alte Art und Weise gegen sie. Was ist, wenn
sie einen neuen Weg gefunden hat uns zu stürzen, einen Weg, den wir nicht
kennen und von dem wir nicht wissen, wie wir uns dagegen verteidigen können?«
»Sie wird keinen Erfolg haben«, erwiderte Mithros
entschieden. »Sie kann nicht gegen uns alle ankämpfen und sie hat in keinem der
Reiche Verbündete außer ihren eigenen Leuten.« Der Traum verblasste, alsDhana
die Augen öffnete. Sie war noch immer müde,
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