Dhana - Im Reich der Götter
Sonnenvögel
hoch emporstiegen. Endlich boten sich die drei der Sonne dar, breiteten Flügel
und Schwänze in einer Explosion von Farben aus.
Da erschien mit einem Mal auch etwas wie ein Bild.
Verwundert schloss Dhana die Augen. Doch sie konnte das Bild immer noch sehen.
Es musste eine Vision sein. Königin Thayet und Onua, die Befehlshaberin der
Königlichen Reiterei, standen Rücken an Rücken auf der Mauer vor dem
Königlichen Palast in Tortall, jede mit einem Bogen bewaffnet. Sturmvögel
fielen über sie her, stinkend und mit gespreizten Klauen, die Mäuler weit
geöffnet, in lautlosem Kreischen. Verbissen schössen die beiden Frauen Pfeil um
Pfeil in den Schwärm über ihnen, wobei sie fast jedes Mal trafen. Ein Magier
kam die Mauer entlanggerannt und hob beide Hände. In seinen Handflächen
glitzerte etwas wie Kristall. Das Bild verblasste. Dhana öffnete die Augen und
stand auf. »Ich muss gehen«, sagte sie zu dem Reptil, das sie neugierig betrachtete.
»Es war sehr nett, dich kennen zu lernen.« »Komm wieder, wenn du länger bleiben
kannst«, sagte der Gott. Dhana sah die Eidechse stirnrunzelnd an. »Warum bist
du so nett«, fragte sie. »Ich hätte gedacht, ein Gott sei . . . nun ja . . .
hochnäsiger.«
Die Eidechse konnte zwar nicht lächeln, aber Dhana
hörte die Belustigung in ihrer Stimme. »Als du ein kleines Mädchen warst, hast
du einmal ein Nest mit jungen Eidechsen vor Zweibeinern gerettet, die sie
quälen wollten. Um meiner Kinder willen danke ich dir und ich hoffe dich wieder
zu sehen.« Dhana verneigte sich, dann begann sie mit dem Abstieg. Diesmal
musste sie öfter anhalten, um sich auszuruhen. Ein Schluck Wasser aus der
Quelle half, aber bis sie den Fuß der Anhöhe erreicht hatte, zitterten ihre
Beine.
Dort wartete Weiryn, einen gespannten Bogen in der
Hand, in der anderen einen toten Hasen, auf dem Rücken einen Köcher mit
Pfeilen. »Deine Mutter macht sich Sorgen um dich.« Den Ausdruck seiner
baumfarbenen Augen konnte sie nicht deuten.
»Es ist zur Zeit nicht immer ratsam, hier so allein
herumzulaufen.«
Dhana wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom
Gesicht. »Ich weiß schon, was ich tue«, entgegnete sie kurz. »Und was ist das?«
Sie deutete auf seine Beute. »Ein Gott hat es doch bestimmt nicht nötig zu
jagen.«
»Quäle dein sanftes Herz nicht«, antwortete er. »Da
meine Beutetiere selbst Götter sind, werden sie augenblicklich in neuen Körpern
wieder geboren, andernfalls gäbe es in diesen Reichen keinerlei Wild mehr. Und
ein Gott der Jagd muss jagen.« Er machte kehrt und ging auf das Haus zu. Dhana
hielt mit ihm Schritt. »Haben diese Sterblichen dir denn überhaupt nichts
beigebracht? Unsere Pflichten als Götter binden uns an die unserer sterblichen
Anhänger.« »Aber ihr braucht nicht zu essen. Ihr seid Götter.« »Wir brauchen
nicht, aber es macht Spaß. Das erinnert mich daran . . . mir gefällt gar nicht,
wie du in diesen letzten paar Jahren gegessen hast. Was ist das für eine
Jägertochter, die kein Wild anrührt?«
Dhana seufzte. »Eine, die selbst gejagt worden ist, in
Gestalt eines Hirschen und in der einer Gans.« Sie versuchte zu lächeln. »Ich
begnüge mich mit Schaf, Huhn und Fisch, Pa. Mit dem Rest der Tierwelt bin ich
zu eng verbunden, um sie essen zu können.«
Weiryn schüttelte seinen gehörnten Kopf. »Sich
vorzustellen, dass...« Er wirbelte herum und ließ den Hasen fallen. »Hab ich
mir's doch gedacht!« »Was?«, fragte sie.
Mit einer einzigen, flüssigen Bewegung legte er einen
Pfeil an die Sehne und schoss. Schwingend blieb sein Pfeil in einem Schattenflecken
unter einem Busch stecken.
Dhana runzelte die Stirn. Irgendetwas klagte dort mit
einer winzigen Stimme, die sie mehr in ihren Gedanken als mit den Ohren hörte.
Sie rannte hinzu und sah, dass der Pfeil eine Art Tintenklecks festhielt. Wie
hatte Ma das genannt? Finsterling? »Warum hast du das getan?«, fragte sie ihren
Vater böse. Sie packte den Pfeil und zog ihn aus dem Tintenklecks. Er fuhr fort
wild zu flattern und zu jammern. In seiner Mitte klaffte ein Loch. »Du weißt
nicht einmal, was das ist!« Sie versuchte den Klecks zur Mitte hin
zuzuschieben.
»Das brauche ich nicht«, lautete die Antwort. »Es kam
ohne Erlaubnis in mein Gebiet, schnüffelt herum und verfolgt uns. Hör bloß auf
es zu verhätscheln . ..«
Sie setzte sich nieder, hob den Finsterling hoch und
klemmte das Loch in seinem Körper vorsichtig zu, indem sie die Ränder
aneinander presste. »Es ist doch
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