Diabolos (German Edition)
pendelte hin und her, er rollte mit den Augen, ich sah, wie er den Mund öffnete und Basti in den Hals biss. Zumindest versuchte er es, trotz seines fehlenden Gebisses.
»Ganz ruhig, Herr Burkhardt«, versuchte Sonja ihn zu beruhigen. Basti brüllte und ließ ihn los. Sonja konnte sein Gewicht alleine nicht stemmen. Er fiel ein weiteres Mal zu Boden.
»Das Schwein hat versucht, mich zu beißen!«, schrie Basti, hielt sich den Hals und besah sich seine Hand. Ein kleiner Blutfleck, von einer winzigen Stelle am Hals stammend, eher aufgekratzt als gebissen. Es reichte dennoch, dass ich mir umgehend große Sorgen machte. Herr Burkhardt versuchte wieder auf die Beine zu kommen, Sonja schimpfte mit Basti, der noch immer um Fassung rang und sich selbst der Tragweite einer fremdverschuldeten Bisswunde bewusst wurde. Ich wählte den Notruf. Besetzt. Das konnte ich nicht glauben. Noch einmal.
»Also, der Notruf ist besetzt«, teilte ich Basti mit und es hörte sich für mich an, als hätte ich es aus weiter Ferne gesagt. Herr Burkhardt hatte sich zwischenzeitlich erhoben und wankte auf Sonja zu, die besänftigend auf ihn einredete – bis er versuchte, auch sie zu beißen. Ein weiterer Schrei gellte auf. Ich wählte die Nummer von Bernds Büro. Besetzt. Sein Handy. Nach dem vierten Klingeln ging er ran, Sonja rangelte mit Herrn Burkhardt, Basti half ihr, sich von ihm zu lösen. Sirenengeheul drang von der Straße herein. Langsam verstand ich, warum alle Einsatzkräfte in der Nacht unterwegs gewesen waren.
»Bernd!«, rief ich. Er weinte. Ein weiterer Schock.
»Bernd? Was ist los?«, fragte ich und mein Magen zog sich aufgrund einer bösen Vorahnung in mir zusammen.
»Klaas ist tot! Er ist totgebissen worden. Tot!«
»Bernd! Ich bin hier mit Basti bei Frau Burk…, ich meine, bei Herrn Burkhardt, der gar nicht verstorben ist. Aber er ist aggressiv und … Bernd?«
Die Leitung war unterbrochen worden. Basti sah zu mir auf. Er hatte Herrn Burkhardt unter sich auf dem Boden gesichert. Herr Burkhardt versuchte unablässig, sich zu befreien. Basti weinte.
»Was ist, Basti?«, fragte ich und sah einen nahenden Zusammenbruch bei ihm.
»Er ist tot, Laura! Er ist eigentlich tot.« Basti schüttelte den Kopf und legte Mittel- und Ringfinger an die Halsschlagader des unter ihm Liegenden.
»Ich …«, stammelte ich. Mir fehlten die Worte. Klaas war tot, Basti gebissen, ein weiterer Toter, der nicht tot war.
»Was machen wir nur?«, fragte er mit sich überschlagender Stimme.
Ich hatte mich wieder gefasst. »Ich weiß es nicht, Basti. Ich weiß nur, dass ich dringend nach Hause muss. Zu meiner Familie. Lass ihn uns hier einsperren und einen Zettel an die Tür hängen. Wir versuchen die Polizei zu rufen. Bisher ist da besetzt, aber bestimmt kommen wir von unterwegs durch.«
Basti und Sonja nickten wie große Kinder. Ich hätte sonst was vorschlagen können.
»Schreiben sie bitte den Zettel, Sonja. Ich versuche nochmal zu telefonieren.«
Sie nickte. Ich wählte meine private Festnetznummer. Besetzt. Karstens Handynummer. Besetzt. 110. Besetzt. 112. Besetzt. Während Sonja noch schrieb, hörten wir Schüsse. Irgendwo am Bahnhof wurde geschossen. Wir zuckten zusammen.
»Was ist los, Laura?«, fragte Basti verzweifelt. Ich zuckte mit den Schultern und sah zu Sonja. Sie nickte und zeigte mir den Zettel und einen Klebestreifen.
»Komm, wir gehen. Am besten geht jeder nach Hause und bringt sich so schnell es geht in Sicherheit. Wir schaffen das!«
Basti ließ Herrn Burkhardt los, der sofort begann, sich unbeholfen aufzurichten. Wir verließen die Seniorenwohnung, brachten den Zettel an, verabschiedeten uns und jeder ging seines Weges. Ich bin mir sicher, dass Basti nun einer von Ihnen ist.
Mit dem Wagen kam ich bis zu den Elbbrücken, ehe der Zusammenbruch der gewohnten Ordnung eine Weiterfahrt unmöglich machte. Es hatte mehrere Unfälle gegeben und torkelnde Menschen – noch habe ich sie für solche gehalten – wankten auf und über die Fahrbahn, wurden erfasst, umher gewirbelt. Wagen fuhren ineinander und ich konnte die ersten Übergriffe beobachten. Menschen wurden angefallen, gebissen, getötet. Ich saß reglos im stehenden Wagen, versuchte einen Radiosender zu finden, zitterte, verriegelte die Tür und überlegte panisch, was das alles zu bedeuten hatte. Immer und immer wieder versuchte ich, Karsten zu erreichen. Nichts. Im Rückspiegel sah ich das Blaulicht eines Polizeifahrzeugs, das versuchte, sich einen Weg durch das Chaos zu bahnen.
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