Diabolos (German Edition)
bereits das Maß dessen, was sie ertragen konnte. Doch sie riss sich ein letztes Mal zusammen. Die Führung ist ohnehin vorbei , sagte sie sich. Sie hatten das Saalende nun fast erreicht, von weiteren Gängen war nichts zu sehen. Aber sie irrte sich. Wie von Zauberhand tauchte kurz vor der Rückwand noch eine letzte, schräg verlaufende Nische auf. Vor dem schmalen Zugang fiel Janos demütig auf die Knie.
»Hier Große Göttin«, verkündete er feierlich und berührte mit der Stirn den Boden.
Und da war sie. In dieser vom Wasser geschaffenen, schmalen, aber sehr hohen Apsis ragte plötzlich die Figur der Göttin vor ihnen auf. Die Statue war über drei Meter hoch und schien aus einem schwarzen Stein gemeißelt zu sein. In den mandelförmig geschlitzten Augen glitzerten rote Halbedelsteine. Sie war stehend dargestellt worden, mit weit ausgebreiteten Armen. Ihr wallendes Haar fiel weit über die nackten Schultern. Bei genauerer Betrachtung entpuppten sich die dichten Locken aber als ein Gewirr von wuselnden Schlangennestern. Größere Tiere ringelten sich um ihren Hals und Teile der Arme. Sie trug ein reich verziertes Kleid, welches ihre Brüste unbedeckt ließ. Fasziniert starrte Brandon auf das böse grinsende Gesicht der Schlangengöttin; ähnlich einer indischen Kali streckte auch sie ihren Verehrern die lange, spitze Zunge heraus.
Während sich Heather schaudernd abwandte, zwängte sich Brandon an dem betenden Janos vorbei in das Innere des Altarraumes. Wie gerne hätte er Fotos gemacht, aber die Lichtverhältnisse waren einfach zu schlecht. Die wenigen Fackeln warfen tiefe Schatten auf die Statue. Neugierig ging er näher, um zu sehen, welche Opfergaben oder Machtinsignien sie in ihren Händen hielt. Währenddessen schlurfte Heather bereits wieder langsam zum Ausgang zurück. Obwohl es schwer fiel, versuchte sie, nicht auf die grausigen Bilder an den Wänden zu achten. Sie war noch nicht bis zur Hälfte der Tempelhalle gelangt, als sie unerwartet Schritte vor sich hörte. Verdutzt blieb sie stehen und sah wenig später, wie Kostas und Leonidas hinter dem Trennvorhang erschienen. Instinktiv duckte sie sich in den Schatten einer schulterhohen Amphore. Mittlerweile wusste sie nicht mehr, vor wem sie sich mehr fürchten sollte, vor der Schlangengöttin, oder vor den Menschen, die sie anbeteten. Mit angehaltenem Atem blickte sie den beiden Hirten nach. Niemand bemerkte sie. Die Männer unterhielten sich in einem ehrfürchtigen Flüsterton; die sie umgebende Pracht lenkte sie allerdings nicht ab. Das Besondere wirkte auf sie eher alltäglich. Auf ihren Schultern trugen sie längliche Schaufeln oder Hacken, deren Enden im warmen Licht zu glühen schienen. Heather fragte sich nach dem Sinn der Werkzeuge. Wurde die Höhle etwa noch weiter ausgebaut oder suchte man nach unbekannten, vielleicht eingestürzten Schatzkammern? Obwohl alles in ihr zum Ausgang strebte, wurde sie von einer unbekannten Macht dazu gezwungen, den Brüdern in großem Abstand zu folgen.
Erst als Brandon direkt unter der schwarzen Armsäule der Göttin stand, enthüllte sich ihm der dunkle Schemen in ihrer rechten Hand. Bestürzt wich er sofort wieder zwei Schritte zurück. Aus zwei Metern Höhe starrte ihn das abgetrennte Haupt eines Ziegenbocks an.
Es ist nur ein Teil der Figur , dachte er, aber dann erkannte er die spitzen, braunen Hörner, die glänzenden Augen und das zottige, vom Blut verklebte Fell des Tieres.
»Sie opfern ihr lebende Tiere!«, keuchte er leise. Sofort erinnerte er sich an die vielen, leeren Ställe in den oberen Höhlen des Tales. Hatte man die Ziegen dort nur für diesen Zweck gehalten? Da er nun ahnte, was ihn erwartete, näherte er sich nur sehr zögernd der anderen Seite der Göttin. Trotz all seiner Vorsicht ließ ihn der Anblick der linken Hand taumeln. Brandon schloss die Augen, aber es war bereits zu spät. Das, was dort von den gierigen Fingern der Statue umschlossen wurde, war einfach zu phantastisch. Ein Alptraum. Und doch real. Starr vor ungläubigem Schrecken betrachtete Brandon das Gesicht eines unbekannten, jungen Mannes mit langen, blonden Haaren und Vollbart. Tote, blaue Augen blickten über ihn hinweg in die Ewigkeit. Er musste würgen, aber er spuckte nur bittere Gallenflüssigkeit auf den Boden.
»Das … das ist doch nicht möglich!«, stammelte er. »Oooh, nein, das kann einfach nicht sein!«
Trotz aller Beweise weigerte sich sein Verstand, die Wahrheit anzunehmen.
»Große Göttin viel groß,
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