Diabolos (German Edition)
viel Macht, okay?«, hörte er Janos' Stimme in seinem Rücken. Er schnellte herum und sah, wie gerade Kostis und Leonidas die Apsis betraten. Alle Männer lächelten ihm freundlich zu. Mit zittrigen Händen raufte er sich das Haar.
»Seid ihr denn alle wahnsinnig geworden?«, schrie er sie an. »Dieser … dieser Mann dort ist tot, er wurde ermordet. ERMORDET, versteht ihr!! Wie könnt ihr da noch hier 'rumstehen und dumm grinsen?«
Die Brüder schienen den Grund seiner Erregung nicht zu begreifen; je lauter er schrie, umso amüsierter kicherten sie. Brandon verstummte. Wie eine eisige Welle schlug die Erkenntnis über ihm zusammen: Das wahre Grauen lag nicht in den Händen der Göttin, es verbarg sich hinter den lachenden Gesichtern dieser Hirten. In das Lachen mischten sich nun fröhliche Rufe und imitiertes Ziegengemecker.
Sie machen sich einen Spaß , dachte Brandon. Sie rufen mich wie einen Schlachtbock.
Kostis machte schließlich den Anfang. Er löste sich aus der Gruppe und kam mit einer erhobenen Axt auf ihn zu. Brandon zeigte keinerlei Reaktion; nur seine Gedanken bewegten sich ein wenig, an Flucht dachte er aber nicht. Seine müden Augen konzentrierten sich fast zwanghaft auf das neongelbe Uhrenband an Kostis' Arm. Wie viel Uhr ist es wohl? , fragte er sich angestrengt. Es wäre schön, die genaue Uhrzeit zu erfahren. Mit seinem unbeweglichen Kopf versuchte er vergeblich das Ziffernblatt abzulesen. Es interessierte ihn nicht, dass derselbe Arm eine scharfe, doppelschneidige Waffe vor ihm ausholte. Der erste Schlag grub sich seitlich in seine Schulter. Er ging in die Knie, verspürte jedoch kaum einen Schmerz. Brandon sah, wie der Mann die Axt aus seinem Fleisch zog und erneut ausholte. Nun kamen auch die anderen. Leonidas schwang ein krummes Messer, Janos umklammerte seine geliebte Hacke. Unter fröhlichem Gejohle und Gemecker schlugen sie abwechselnd auf ihn ein. Ihr Lachen schmerzte ihn mehr als ihre scharfen Waffen. Als er endlich schreien wollte, gab es jedoch nichts mehr, was seinem Willen unterlag.
Heather presste sich zitternd gegen die Außenwand vor der Apsis. Ahnungslos war sie dem fröhlichen Gelächter gefolgt und sah sich nun mit einer apokalyptischen Szene konfrontiert. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie begriffen hatte, was die Männer dort taten. Der Körper in ihrer Mitte hatte jede Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen verloren. Sie wollte, sie konnte nicht glauben, dass dort etwas lag, mit dem sie fast fünf Jahre ihres Lebens verbracht hatte.
Sie schrie nicht. Aber sie rannte. Laufen war etwas Reales , etwas Sinnvolles . Wenn sie nur schnell genug lief, konnte sie vielleicht sogar Teile der Wahrheit überholen – und sie verändern. Heather dachte nur noch an ihre Beine und das tiefe, gleichmäßige Ein- und Ausatmen der Luft. Dröhnend hallten die Schritte in ihren Ohren wider.
Sie erreichte schließlich den Ausgang und hastete blind in das gleißende Sonnenlicht. Nur undeutlich sah sie Deino und das Mädchen unter dem Baldachin sitzen. Niemand hielt sie auf. Keuchend spurtete sie über den freien Platz und tauchte mit ausgestreckten Armen in das Gewirr der Oleanderbüsche ein. Oft stürzte sie über einen Stein oder eine Wurzel, ihre Hände und Knie überzogen sich mit blutigen Schrammen und Schnitten. Aber immer wieder stand sie auf und rannte weiter.
Lauf! , rief sie sich innerlich zu. Atme!
Nirgendwo tauchte der Hohlweg auf; über eine Stunde versuchte Heather vergeblich, einen Ausweg aus dem Dickicht zu finden. Schließlich brach sie völlig entkräftet zusammen. Sie stürzte über ihre eigenen Füße und blieb ohnmächtig auf dem Bauch liegen. Als sie langsam wieder zu sich kam, sandte bereits eine tief stehende Nachmittagssonne ihre Strahlen durch das Blätterdach. Vorsichtig setzte sie sich auf. Ihre Stirn glühte. Der Kopf schien viel zu schwer für ihren kleinen Hals zu sein. Ein Stechen in ihrer Brust deutete auf eine Rippenprellung hin. Vielleicht hatte sie sich bei dem Sturz sogar die eine oder andere gebrochen. Rasselnd zog sie die Luft ein und musste sofort husten. Als sie ihre angeschwollenen und blutig zerkratzten Hände betrachtete, brach sie in ein tonloses, zittriges Lachen aus.
Wohin soll ich nur fliehen? , fragte sie sich. Gab es überhaupt ein Ziel? Vielleicht stellte sie sich auch nur die falschen Fragen. Schwankend stand sie auf und versuchte, den Himmel oder einen Berg durch den Oleander hindurch zu erkennen.
»Laufen ist dein Ziel!«,
Weitere Kostenlose Bücher