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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Serviererinnen in ihren rosafarbenen Arbeitskitteln kannten mich bald. Zuerst nahmen sie mich wahr, dann erkannten sie mich wieder, schließlich kannten sie mich, obwohl sie die ganze Zeit diesen Umstand vor mir verbargen.
    Die Beobachtung der Menschen erschöpfte sich rasch in Feststellungen. Es war eine Aneinanderreihung von Tatsachen, eine Choreographie von Bewegungen und Verschiebungen, alles war allem zum Verwechseln ähnlich. Nichts verbarg sich dahinter; kein Geheimnis, kein Rätsel, kein Schicksal. Es waren bloß Menschen, die kamen und gingen. Abgrundlose Menschen.
    Dann verlor ich das Interesse an ihnen und konzentrierte meine Beobachtungen auf die Tatsache, dass nichts passierte, widmete mich dem Studium, wie nichts passierte.
    Ich behielt die Ereignislosigkeit um mich fortwährend im Auge und stellte schließlich fest, wie sich die Geschehnisse ringsum zum Ausbleiben eines Ereignisses summierten; eines Ereignisses, das vielleicht alles verändert hätte …
    Es war im ersten Jahr, als ich bei mir eine gewisse Sympathie für eine der Aushilfskräfte feststellte, die für die Sommermonate aufgenommen wurden. Ich mochte sie, weil die dem rosafarbenen Kittel, den alle Serviererinnen trugen, und der sie so verwechselbar machte, etwas Persönliches hinzufügte, sei es einen anderer Gürtel als der vorgeschriebene, sei es einen Sticker, oder dass sie das Namensschild statt auf der linken auf der rechten Brust trug. Sie war sehr einfallsreich bei ihren Versuchen, sich zu unterscheiden.
    Ich mochte auch die starken blauen Adern in ihren Kniekehlen, konnte mich aber nicht entschließen, meinen Platz zu verlassen und mir einen anderen zu suchen, von dem aus ich ihrer öfter und länger hätte ansichtig werden können, der es mir ermöglicht hätte, sie beim Hantieren an der Kaffeemaschine zu beobachten, oder ihr zuzusehen, wie sie die dünnen Papierservietten zu Dreiecken faltete und auf die Untertassen legte, ehe sie die Tasse darauf stellte. Oder wie sie ein Kuchenstück aus der Vitrine hob, auf einen Teller legte und es darauf zurechtrückte mit dem Daumen und anschließend mit Schlagsahne garnierte.
    Eines Tages war sie fort. Ich wusste, dass sie nicht wiederkommen würde. Ich wusste es sofort, als ich sie nicht gleich bei meinem Eintreten sah. Sie war nur eine Aushilfskraft gewesen für einen Sommer. In Wirklichkeit hatte sie nur mein Blickfeld eingeengt, hatte sich zwischen mich und meine Umgebung geschoben und meinen nüchternen, meinen ernüchterten, meinen ausgenüchterten Blick von den Tatsachen abgelenkt.
    Schon als ich seinen Blick zum ersten Mal auf mir spürte, wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er in mir denjenigen erkennen würde, an den er sich wenden konnte.
    Ich war gespannt darauf, wie es es anstellen würde, mit mir ins Gespräch zu kommen. Lange hatte er nach einem wie mir Ausschau gehalten. Sein Blick hatte etwas Erkennendes. Er löste mich aus dem Zusammenhang, isolierte mich von meiner Umgebung, schnitt mich ab. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass er mir im nächsten Moment mit den Augen zu verstehen geben würde, mich lange schon durchschaut zu haben.
    Ich zog es vor, ihm keine weitere Beachtung zu schenken. Ich machte ihm die Annäherung, auf deren günstigsten Moment er wartete, nicht leicht. Ich übersah ihn zwar nicht, sondern schaute sehr bewusst in seine Richtung, schaute ihn an, direkt in die Augen sah ich ihm, jedenfalls musste er diesen Eindruck gewinnen, ihn als Aufforderung, als Einladung, als Bekundung meiner Bereitschaft zur Kontaktaufnahme missverstehen, doch immer wenn er sich von seinem Platz erheben wollte, blickte ich haarscharf an ihm vorbei auf einen Punkt an der Wand hinter ihm.
    Eine Weile machte das Spaß. Als sich seine Reaktionen dann zu wiederholen begannen, verlor ich das Interesse. Und dann vergaß ich ihn. Keinerlei Beachtung schenkte ich ihm mehr, bis er eines Tages an meinen Tisch trat: »Entschuldigen Sie, wir kennen uns nicht …«
    Seine Stimme war fahl, von einer chronischen Heiserkeit gedämpft. Man erwartete, dass er sich im nächsten Moment räuspern würde. Die Wörter, die er sprach [er sprach sie bloß aus, unsicher ihrer Betonung], hatten eine brüchige Oberfläche, aufgeraut vom mechanischen Zusammenspiel von Kehlkopf, Stimmbändern und Gaumensegel, ausgetrocknet von der Luft, die er ungewöhnlich hastig, beinahe hechelnd einsog.
    Ich weiß nicht mehr, ob er sich zu mir an den Tisch setzte, ohne zu fragen. Ich nehme

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