Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
Vom Netzwerk:
begriffen und durchschaut zu haben, wie sie tickten, welche Strategien sie verfolgten, welche Taktiken sie anwendeten, ihre Codes – Standards und Gemeinplätze, rhetorisches Floskelwerk – hatte ich zu dechiffrierenden gelernt.
    Judith und ich hatten in unser Konzept einige Punkte eingearbeitet, an denen sich die Skepsis jedes Werbechefs entzünden konnte, unwesentliche Details – wir nannten sie Köder –, die es Peter – so hieß er, glaube ich – die Möglichkeit zu Verbesserungsvorschlägen gaben und somit Gelegenheit, sich in unser Konzept einzubringen und es zu dem seinen zu machen. Doch dieser Peter – während der Sitzung hatte er sich zurückgehalten, kaum etwas gesagt, wir waren auf Wunsch eines anderen Firmendirektors zum Pitch eingeladen worden – unterschied sich von jenen Werbeleitern, mit denen wir es bisher zu tun gehabt hatten. Sofort durchschaute er unsere Strategie, erkannte die wahre Funktion jener strittigen Kleinigkeiten in unserm Konzept, nahm unseren linkischen Versuch zur Kenntnis, ihn damit für uns zu gewinnen, und legte dann richtig los.
    Ich gehörte – damals, damals … – zu jenen Menschen, die zwar bereit sind, ihre persönlichen Vorstellungen den Anforderungen des Geschäftslebens anzugleichen, aber die zugleich die Perforation ihrer eigenen Anpassungsfähigkeit zu genau kennen, um nicht im entscheidenden Moment die finanzielle Einbuße dem Selbstverrat vorzuziehen. Meine bisherigen Auftraggeber – meist kleine oder mittelständische Betriebe mit keiner oder sehr phantasieloser Werbeabteilung – hatten es stets zu schätzen gewusst, wenn ich auf ihre Vorstellungen zwar einging, ihnen aber auch unmissverständlich zu verstehen gab, dass meine Bereitschaft zu Kompromissen Grenzen hatte.
    Diesmal jedoch hatten Judith und ich – leichtfertig, höchst leichtfertig, hop oder drop! – für diesen großen Auftrag zahlreiche kleinere abgelehnt. Nun waren wir gezwungen, diesen einen zu behalten, was immer auch von uns verlangt wurde. Immer häufiger waren Kompromisse notwendig. Mein Pragmatismus reichte bald nicht mehr aus, auf Peters ständige Änderungswünsche einzugehen und von meinen grundsätzlichen konzeptionellen Vorstellungen Abstand zu nehmen.
    Peters fortwährende Einwände, so konstruktiv sie auch geäußert wurden – bei keinem Treffen vergaß er zu betonen, wie sehr er Judiths und meine Arbeit schätze, und wie wichtig ihm die Zusammenarbeit mit uns beiden sei –, fingen an, mich zu verunsichern. Diese Vertraulichkeit, so aufrichtig sie vielleicht gemeint war – und das war sie, wie ich später feststellen musste –, missverstand ich als nachsichtiges Wohlwollen. Dieser – unter uns gesprochen: folgenschwere – Irrtum rief jene Eitelkeit in mein Wesen zurück, die ich schon lange in geschäftlichen Belangen aus ihm verbannt geglaubt hatte.
    Einmal kam uns Peter unangekündigt im Studio besuchen. Hinterher fand Judith ihn ganz nett und verstand nicht – oder weigerte sich [Teil unseres Spiels] zu verstehen –, was ich gegen ihn hatte.
    Judith war die Vernünftigere von uns beiden. »Wir sind doch Profis«, sagte sie immer wieder und versuchte, das Beste aus der Sache zu machen. Besser als ich verstand sie es, Peters Einwänden Rechnung zu tragen, ohne unsere Konzeptlinie dabei gänzlich zu verwerfen. Doch Peters Bedenken, seine unausgesetzte Skepsis gegenüber jedem neuen Vorschlag von uns, machten uns schwer zu schaffen. Bald half auch Judiths Wir-sind-doch-Profis-Mantra nicht mehr. Genervt verdrehte sie die Augen, wenn ich von einem Meeting mit Peter zurückkam.
    Wir waren bereits nahe daran, den Auftrag zurückzugeben, als uns Peter schließlich zu verstehen gab, dass ihn unser Beharren auf den Grundzügen unseres Konzept überzeugt habe. Unverhohlen ließ er durchblicken, dass er anfangs einem anderen Studio den Vorzug gegeben hatte, einem Studio mit weit mehr Erfahrung als Judith und ich, wirklichen Profis. Aber wir beide, Judith und ich, hatten ihn durch unsere Ehrlichkeit beeindruckt. Er habe, gestand er uns, die ganze Zeit, da er uns mit seiner Skepsis zugesetzt hatte, gefürchtet, wir könnten die Nerven verlieren und aufgeben. Er freute sich aufrichtig über den Mangel an Kompromissbereitschaft, den ihm Judith und ich bewiesen hatten.
    »Kompromisse sind nur geteilte Unzufriedenheiten«, sagte er beim Abschied.
    »Arschloch«, zischte Judith ihn an, »du bist ein riesengroßes Arschloch.« Dann lachte sie. Lachte erleichtert.
    Und auch Peter –

Weitere Kostenlose Bücher