Diabolos (German Edition)
es an. Es muss so gewesen sein. Er kam rasch zur Sache und redete bereits geraume Zeit, als ich endlich Gelegenheit fand, ihn zu unterbrechen und ihm begreiflich zu machen, dass seine Worte für mich keinerlei Sinn ergaben.
Da blickte er auf und sagte: »Ich störe Sie vielleicht …«
Ich widersprach nicht.
»Das tut mir leid«, meinte er, aber machte keine Anstalten, aufzustehen und sich zu entfernen. Einige Minuten saßen wir dann schweigend. Die Finger seiner rechten Hand waren braun von Nikotin. Weil er offensichtlich über keine Zigaretten verfügten, bot ich ihm eine von meinen an. Er rauchte hastig, der Filter verschwand bei jedem Zug fast vollständig zwischen seinen dünnen Lippen.
»Erzählen Sie weiter« sagte ich.
Einen Moment war es, als hätte ihn meine Aufforderung in Verlegenheit gebracht, als wüsste er auf einmal gar nicht mehr, was er mir sagen wollte, ja, warum er sich überhaupt an mich gewandt hatte.
Er saß da, den Kopf gesenkt, in sich verkrümmt, reglos. Dann richtete er sich auf, wie um dem ersten Wort den Weg nach draußen zu ebnen.
Seine Sätze waren bestimmt von seinem Bemühen, sich mir verständlich zu machen und mich für die Aufmerksamkeit, die ich seinen Ausführungen widmete, zu entschädigen. Immer wieder versuchte er, einen Anfang zu finden, irgendeinen Punkt, von dem aus er die Geschichte für mich aufrollen, an dem er mich an seiner Geschichte teilhaben lassen, mich in verstricken konnte. Doch schon bei der Suche nach einem Einstieg verhedderte er sich in Details, die keinen Zusammenhang ergaben. Er sprach mehr in Einschüben, Anmerkungen, Beifügungen, als fortlaufend chronologisch oder zumindest in halbwegs nachvollziehbaren Zusammenhängen zu erzählen. Als er sich schließlich seiner wirren Erzählweise bewusst wurde, entschuldigte er sich bei mir, fuhr sich durch Haar.
Ich bot ihm eine weitere Zigarette an, er fasste sich.
Als ich eintrat, stand sie vor dem Fenster, halb verdeckt von einer der drei Glasvitrinen. Es bedurfte eines weiteren Schrittes von mir, in den Raum hinein, auf sie zu, dass sie sich umwandte und mich als einen Besucher wahrnahm, den sein Interesse für die ausgestellten Exponate in das Museum geführt oder vielleicht bloß irgendein Zufall hierher verschlagen hatte. In meinem Fall war es der Regen.
Ich hatte noch ein wenig Zeit bis zu meiner geschäftlichen Verabredung und wollte durch die Stadt schlendern. Zuerst hatte ich dem einsetzenden Nieseln keine Bedeutung beigemessen, aber als es stärker zu regnen begann, flüchtete ich mich unter einen Torbogen in der Hoffnung, es handle sich nur um einen kurzen Schauer, wie er der Jahreszeit entsprach. Dem war aber nicht so. Alsbald schon erwies sich der Schauer als beständig, sein Ende war nicht abzusehen.
Während ich auf das Nachlassen des Regens wartete, fiel mein Blick auf das kleine Messingschild, das unterhalb eines trüb gewordenen Klingelknopfs aus Messing an der Mauer angebracht war.
Ich hatte bislang Museen nie sonderliches Interesse entgegengebracht. Das Bewahrende hatte mich eher abgeschreckt, den ausgestellten Gegenstand in eine für mich unüberwindbare Ferne gerückt. Ich verfügte damals noch nicht über das sensitive Gespür für die Atmosphäre, die von Exponaten auszugehen vermag, und fühlte die Zeit nicht, die sich vor ihrem eigenen Vergehen in die Dinge flüchtet.
Ich kann nicht sagen, dass ich überrascht war, SIE zu sehen, obwohl sich während des beiläufigen Betrachtens der Objekte in mir der Eindruck verstärkte, ihr schon einmal in anderer Umgebung und anderem Zusammenhang begegnet zu sein. Doch durch meinen Beruf kam ich mit vielen Menschen in oberflächlichen Kontakt, und ich hatte längst verlernt, mehr von Menschen wahrzunehmen als einige hervorstechende Merkmale. Ich führte damals ein schnelles Leben. Nichts blieb hängen.«
Er schwieg, besann sich, wie alles wirklich gewesen war, wie sich alles zugetragen haben mochte .
»Uhren – verzeihen Sie, ich glaube, ich habe es noch nicht erwähnt: Es waren Uhren, ausschließlich alte mechanische Uhren aus verschiedenen Jahrhunderten, große voluminöse Zeitmesser, in deren Mechanik man hineinsah wie in Schlünde, und kleine zierliche Chronometer mit beweglichen Figuren, die das Zifferblatt flankierten, Spieluhren, archaische Gewichtsuhren, Globusuhren, astronomische Uhren, von denen Mondstand und Sternzeit abzulesen waren, Pendel-, Stand- und Wanduhren, Taschenuhren in verschiedenen Größen und Formen,
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