Diabolos (German Edition)
ich einmal noch durchschritten, vor jedem Exponat noch einmal gestanden haben, ehe ich den Ort nie wieder aufsuchen würde. Ich wollte ihn verlassen, für immer, wie ich es betreten hatte: als Besucher, der gekommen war, um sich alles anzusehen.
Doch insgeheim – ich kann mich nicht belügen! – erwartete ich SIE im letzten Ausstellungsraum. Leer schlug mir das Zimmer entgegen.
War ich enttäuscht? Ich weiß es nicht mehr. Wie zur Beschwörung des Augenblicks damals vor verhängnisvoll langer Zeit trat ich an den Kamin, um noch einmal die zierliche Uhr unter dem übermächtigen Glassturz auf dem ausladenden Sockel zu betrachten.
Ich beugte mich ganz nah zu dem Exponat, wie um die feine Ornamentik des Zifferblattes, die Ziselierung der Zeiger und den Detailreichtum des Gehäuses zu studieren, mir all die filigrane Schönheit dieser Uhr einzuprägen.
»Ein schönes Stück«, sagte sie. »Man nennt sie La Princesse de Reims . Sehen Sie nur, wie fein sie gearbeitet ist!«
Ich erschrak, als ich ihre Stimme zum ersten Mal hörte. Doch Erschrecken ist nur eine unzulängliche Umschreibung für das Gefühl von Unentrinnbarkeit , das mich anwandelte. Eine Stimme von sanfter Bestimmtheit, in der die Überzeugung von der Richtigkeit all dessen mitschwang, was immer mit ihr gesagt wurde. Sie ließ einen an einen Herbsttag denken, wenn das Licht Fäden zieht.
Die wenigen Worte, die sie über meine Schulter hinweg an mich richtete, reichten aus, mich mehr fühlen zu lassen, als ich mir von meinem Besuch hier jemals hätte erhoffen dürfen. Sie beugte sich an mir vorbei – nah kam dabei ihre Schulter der meinen – , hob – ihre lagen, feingliedrigen Finger ... – den Glassturz an und stellte ihn vorsichtig neben der Uhr auf dem Kaminsims ab.
Ich sah die beinah durchsichtige Haut, die sich zwischen Daumen und Zeigefinger spannte. Mit gespitzten Fingern öffnete sie vorsichtig den winzigen Verschluss und klappte das spiegelnde Uhrglas zur Seite, damit ich einen Blick auf das Zifferblatt werfen konnte. Dankbar und pflichtschuldig folgte ich ihrer Einladung, wandte ihr dann mein Gesicht zu und erhaschte den letzten Schein eines Lächelns, das eben noch um ihren Mund gespielt hatte und von solcher Entrücktheit gewesen sein musste, dass sie seinen Nachglanz nur schwerlich vor mir verbergen konnte.
»Sie waren schon einmal da«, sagte sie, während sie wieder das Glas vor das Zifferblatt klappte und den Glassturz über die Uhr stülpte.
»Ja«, sagte ich wie erstaunt. »Sie erinnern sich?«
»Ich erinnere mich an jeden, der hierher kommt.«
»Es kommen nicht viele, was?«
»Zu dieser Zeit nicht.«
»Aber als ich das letzte Mal hier war …«, wandte ich ein, um sie wissen zu lassen, dass ich schon öfters hier gewesen war – ihretwegen .
»Ich bin heute seit langem zum ersten Mal wieder hier «, sagte sie. Der entschuldigende Tonfall verriet mir, dass sie meine Anspielung wohl verstanden hatte. »Ich war lange krank …«
Ich hätte darauf eingehen können, aber irgendetwas sagte mir, dass ihr Geständnis nicht als Einladung gemeint war, unser Gespräch auf eine persönliche Ebene zu verlagern.
»Ich glaube, das Museum ist einfach nicht bekannt genug. Es bedürfte gewisser Werbemaßnahmen. Ich arbeite in dieser Branche, müssen Sie wissen …«
»Ich weiß«, lächelte sie verbindlich und blickte mich an [vielmehr löste sie ihren liebevollen Blick von der Uhr auf dem Kaminsims und lenkte ihn auf mich], zum ersten Mal, seit wir miteinander sprachen. »Ich weiß …«
Sie wusste ? Woher? – Nicht dass ich mich das in jenem Augenblick gefragt hätte. Alles wusste sie über mich. Viel mehr als Judith jemals über mich in Erfahrung bringen konnte aus all den Ratgebern über Lebensplanung, Lebenskrisen, Selbstfindung, Persönlichkeitsmanagement und Partnerschaftsastrologie, in denen sie fortwährend las.
Plötzlich – in der Erinnerung daran muss ich an die ruckartige Bewegung von Tauben denken – hob sie den Kopf, als lausche sie etwas – einem Geräusch, das viel zu leise war für mich, fasste sich dann mit der rechten Hand an die linke Schulter, [die Geste eines Nachtmahrs, die ihr Gewand vor die Brust schlägt im Moment des Entschwindens]. »Sie müssen jetzt gehen. Wir schließen …«
Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm, sie zu fragen: »Was machen Sie jetzt?«
Sie sah mich an, als habe sie mich nicht verstanden.
Ich fing an zu stottern, entschuldigte mich, ich wolle nicht aufdringlich sein, nichts
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