Diabolos (German Edition)
viele Gemeinsamkeiten zwischen uns. Er fragte mich nach Judith. Bereitwillig gab ich Auskunft. Ich sagte, was er hören wollte.
»Ihr müsst ziemlich glücklich miteinander sein.« Er meinte es wirklich aufrichtig. Und hatte damit schon sehr, sehr viel gesagt – über sich.
Nachdem ich einmal Peters Angebot angenommen und in seinem Appartement übernachtet hatte, richtete ich es immer öfter ein, nach einem langen Arbeitstag nicht heimzukehren, sondern in der Stadt zu bleiben.
Judith akzeptierte immer widerspruchsloser meine Aufenthalte in der Stadt. Ich sagte es bereits: Der Countdown war angelaufen.
Ein Gefühl von Befremdung beschlich mich, als ich SIE wiedersah. Ich nahm sie aus inmitten der Exponate – eine seltsame Eintracht herrschte zwischen ihnen und ihr – und erkannte sie im ersten Moment gar nicht.
Heute scheint mir dieser Sekundenbruchteil der Fremdheit das letzte, mir vom Schicksal zugestandene Verhängnis, mit dem ich – wäre mir die Fähigkeit gegeben, mich selbst zu belügen – alle meine späteren Handlungen vor mir, vor Ihnen rechtfertigen könnte. An mir – wirklich, an mir? – wäre es in diesem Augenblick gewesen, mit IHR nicht anders zu verfahren als mit all jenen Frauen, mit denen ich Judith hintergangen hatte, und alles daran zu setzen, SIE, das Subjekt meiner Gefühle, in das Objekt meines Verlangens zu verwandeln.
Die Tatsache, dass sie mir für einen Moment gänzlich fremd war, erschreckte mich. Ich wollte nicht, dass es sich so verhielt [doch es verhielt sich so, das ist eben das Unwesen jedes eitlen Wunsches]. Und so redete ich mir ein, die Gleichgültigkeit, mit der sie meine Anwesenheit zur Kenntnis nahm, sei ihrem Beruf geschuldet. In Wirklichkeit, in Wahrheit – wer vermag zu sagen, worin der Unterschied besteht? – heiße sie mich mit aller Zurückhaltung, die dem Ort unserer Begegnung angemessen war.
Ihr Blick – er ruhte auf irgendeinem Punkt im Raumes – war so beschaffen, dass er sich durch nichts, was immer ich auch getan hätte, ablenken ließ.
Eine Weile hielt ich mich in ihrer Nähe auf, immer in der Hoffnung, zumindest kurz mit ihrer Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Ich gab mir Mühe, den Exponaten all mein Interesse entgegenzubringen, widmete mich einem besonders seltenen Ausstellungsstück eingehend, umrundete die freistehende Vitrine, darin es lag wie in einem gläsernen Sarg, beugte mich vor, trat zurück, legte den Kopf schief, studierte angestrengt – »Eine Boulevardkomödie«, lachte er, »ich sage Ihnen, eine billige Boulevardkomödie mit mir als Hauptdarsteller …« – die von einer auf den Schultern eines bronzenen Atlas ruhenden Glaskugel umgebende skelettisierte Uhr, folgte dem die Sonnenbahn darstellenden blauen Ring – die dreihundertfünfundsechzig Tage eines Jahres waren ihm eingraviert, und der goldene Sonnenzeiger zog an ihnen vorbei –, erkannte in einer winzigen, je zur Hälfte schwarz–weißen Kugel den Mond, blickte dabei immer wieder verstohlen von der Seite zu ihr hinüber, trat an die Schmalseite der Vitrine, von wo aus ich sie besser sehen konnte, täuschte vor, mich am Anblick der exzentrischen Kreisen im Zifferblatt zu erfreuen, an denen Sonnennähe und -ferne der einzelnen damals bekannten Planeten abzulesen waren.
Dann entschloss ich mich, mich in den angrenzenden Raum zu geben, in der vagen Hoffnung, sie würde mir, eine angemessene Zeitspanne verstreichen lassend, dorthin folgen. Doch je länger ich mich vor den Bodenstanduhren aufhielt, mit deren Feinheiten mich die Erläuterungen des Kunststudenten vertraut gemacht hatten, umso irrwitziger erschien mir mit einem Mal das Spiel, das SIE und ich miteinander spielten. Meine Anwesenheit hier kam mir lächerlich vor.
Ich dachte an Judith. Ich zwang mich, an sie zu denken. In meinen Gedanken setzte sie sich aus all den Frauen zusammen, mit denen ich sie betrogen hatte. Wie ich mich mit jeder von ihnen vereinigt hatte, hastig, gierig, nur auf meinen eigenen Genuss bedacht, so vereinigten sich nun alle zu Judith.
Ich wollte gehen. Ich spürte die Notwendigkeit, mich so rasch wie möglich von hier, von IHR zu entfernen. Meine Anwesenheit hier schien mir plötzlich Verrat, und ich bereute mit derselben Aufrichtigkeit, mit der ich Judith in diesem Augenblick zu lieben glaubte, und die im Grunde genommen nichts war als kleinmütige Ängstlichkeit.
Nur noch in das letzte Zimmer, jenes mit dem stillgelegten Kamin, wollte ich noch einmal gehen, alle Räume des Museums wollte
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