Diabolos (German Edition)
Hinterausgang.«
»Verzeihen Sie, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«
»Sehen Sie die?« Haubolds Doppelgänger zeigt zu den inzwischen gut gefüllten Tischen. Und noch immer kommen welche. » Die sind so gut wie tot! Ich bin so gut wie tot! Wir haben diesen Weg gewählt; wir wollen es so! Aber Sie … Sie sind noch nicht verloren. Ich erkenne es in Ihren Augen. Noch ist es nicht zu spät!«
Der andere – auf seinem Schild steht S. Fischer – packt sich Haubolds Oberarm.
»Wovon reden Sie bitte?«, protestiert dieser und zieht seinen Arm zurück. Der Ellenbogen kollidiert mit dem Automaten. Die volle Tasse kippt um, fällt auf den abgetretenen PVC-Belag und zerspringt. Niemanden kümmert es.
S. Fischer tritt vor. Seine Augen sind blutunterlaufen. Sein Haar ist schütter, seine Wangen eingefallen. Die dunklen Augenringe sehen wie Blutergüsse aus.
»Als Sie anfingen, war nur der Himmel die Grenze für Sie. Sie hielten sich für unbesiegbar, für jemanden, der es mit der ganzen Welt aufnehmen konnte. Bis Sie irgendwann die bittere Wahrheit erkannt haben. Bloß war es da bereits zu spät. Sie haben nämlich kein Leben mehr. Sie sind zu einem Sklaven geworden; zu einer verdammten Drohne. Ihre Existenz beschränkt sich auf endlose Autofahrten, Messen, Termine, Stress, miesem Cafeteria-Fraß und billige Hotelzimmer. Sind Sie geschieden? Natürlich sind Sie es; was frage ich. Uns allen sind die Ehefrauen davongerannt. Außerdem teilen wir alle das gleiche Interesse. Uns fasziniert der Tod …«
»Das … das ist ein Scherz«, kommt es über Haubolds Lippen. Er weicht zurück, bis er den Automaten am Rückgrat spürt. Heiße Flüssigkeit tränkt sein Jackett und das Hemd darunter. »Ein makabrer Witz. Versteckte Kamera oder so.«
»Kein Witz«, entgegnet S. Fischer nüchtern. »Keine Kameras.«
»Aber –«
»Gehen Sie«, schneidet ihm S. Fischer das Wort ab. »Solange noch Zeit ist.«
Seine Worte sind noch nicht verklungen, als die Eingangstür aufgerissen wird und eine gänzlich in Weiß gekleidete Gestalt eintritt. S. Fischers Kopf dreht sich in dessen Richtung. »Zu spät«, murmelt er kopfschüttelnd.
Haubold folgt seinem Blick. Der Mann hat etwas von einem Fernsehprediger. Selbst sein volles Haar und der Vollbart sind elfenbeinfarben. Sein breites Lächeln ebenfalls.
»Freunde!«, begrüßt er die anderen Doppelgänger mit ausgebreiteten Armen. Seine Stimme ist kräftig und hat ein positives Timbre. Haubold bekommt eine Gänsehaut. Wäre es jetzt nicht schön, ein Handy dabeizuhaben? , säuselt eine Stimme in seinem Kopf. Erst jetzt fällt ihm auf, dass jeder Stuhl und jede Sitzecke ausnahmslos besetzt ist. Blaugraue Wolken schweben über den Anwesenden wie Geisterschwadronen.
Als er einen Schritt zurückgehen will, kreuzt sich sein Blick mit dem des geheimnisvollen S. Fischer. Haubold erkennt darin eine stille Aufforderung. Na los, geh’ endlich! , scheint dieser Blick zu sagen.
Und Haubold geht – und rutscht prompt in der Kaffeelache aus. Instinktiv krallt er sich an einem der verzinkten Träger fest, über die man sein Tablett gleiten lässt. Es regnet Schokoriegel und Tütchen mit Zucker und Süßstoff.
Das Lächeln des Predigers verwandelt sich in eine Fratze.
Alle Blicke liegen nun auf Haubold, der halb kniend, halb liegend, neben der Selbstbedienung hängt. Hass und Abscheu sind zu physischen Präsenzen geworden, nach denen man förmlich greifen kann – wie der Rauch an der Decke.
Auf einmal scheint die Zeit still zu stehen – buchstäblich. Alles und jeder ist wie eingefroren. Bis einer der Quasi-Doppelgänger aufspringt wie das Duracell-Häschen, den Zeigefinger auf Haubold richtet und in bester Körperfresser-Manier »Ein Ungläubiger!« kreischt.
Das lockt auch die anderen aus der Reserve. Wie neugierige Erdmännchen hält sie nichts mehr auf ihren Sitzen, bevor “Vater“ ebenfalls den anklagenden Finger erhebt und seine bizarre Gemeinde mit den Worten »Schnappt ihn euch!« aufstachelt.
Jetzt ist auch Haubold wieder voll da. Er stemmt sich ab. Taumelt an der Kasse vorbei. Prallt gegen die Seite der Auslage. Und weiter zur Schwingtür. Dann ist er in der überraschend großzügigen Küche. Alles Edelstahl. Kein Koch, keine Kassiererin. Wie erwartet. Dafür drei Bullen von Menschen, deren weiße Anzüge jeden Moment zu platzen drohen. Muskeln, bis der Arzt kommt. Breitbeinig und mit verschränkten Armen stehen sie vor der Tür am anderen Ende. Synchron kommen sie näher. Wie
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