Diabolos (German Edition)
eingefunden haben. Das Schicksal hat ihnen den Weg vorgegeben. Dies ist ihr Knotenpunkt, Andreas. Und auch der deinige. Deswegen wirst du auch heute der Erste sein!«
Bevor er protestieren kann, wird Haubold angehoben und von den drei Ochsen zum Ausgang transportiert. Entsetzt ziehen die Gesichter der anderen an ihm vorbei. Sie applaudieren.
Erst als er die kühle Nachluft wieder auf seinem verschwitzten Gesicht spürt, erwacht er aus seiner Trance. »Nein! Nein! Ich will dass nicht!«, schreit er und wehrt sich mit Händen und Füßen. Zwecklos. Aus dem Augenwinkel bemerkt er den Parkplatz. Überall stehen die gleichen grauen Dienstwagen. Ein weißer Plastikschrankenzaun versperrt die Einfahrt. Die darauf montierten Leuchten schimmern in fahlem Gelb. Das haben die aber schnell hingekriegt. Nicht viel, und er hätte aufgelacht.
Schließlich kommt die Prozession zum Stillstand. Haubold erkennt kaum etwas, aber das Wenige, dass er sehen kann, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Seine Beine schweben direkt über dem Abgrund. Unter ihm geht es fast zweihundert Meter steil in die Tiefe.
Der Prediger tritt neben ihn. Nickt ihm aufmunternd zu. Haubold wendet sich ab – und erkennt S. Fischer zwischen den anderen. Als sich ihre Blicke treffen, sieht der beschämt zu Boden. Eine Hand legt sich auf seine Brust. »Entspanne dich«, flüstert der Prediger. »Hab keine Angst. Es wird nicht wehtun.«
Aus irgendeinem Grund hat Haubold da so seine Zweifel. Er fragt sich, ob seine Quasi-Doppelgänger sich gleich nach ihm in die Tiefe stürzen werden. Wie Lemminge. Wie gottverdammte Lemminge. Und was wohl morgen in der Zeitung stehen wird. Falls überhaupt etwas drin stehen wird.
Kollektiver Selbstmord. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er sein linkes Ei gegeben, um so was mit ansehen zu können. Doch jetzt, wo er im Mittelpunkt eines solchen Freitod-Happenings steht, wünscht er sich nichts sehnlicher als dass es schnell geht. Und ohne Schmerzen.
Haubold blinzelt die Tränen weg und schließt seine Augen.
Nicht lange, und er wird sich auch damit auskennen.
Gegangen
Ann-Helena Schlüter
Eine Höhle echote seine Gedanken. Durch pochende Wege in seinem Kopf kam sein dröhnendes Bewusstsein aus Not zum Halten. Enge Räume und verschlossene Türen nahmen ihm Pläne und Kontrolle, dass sein Denken nackt auf Abwehr zurückfuhr. Die Angst machte aus seinem Inneren ein gehetztes Tier. Rache wurde geboren aus sprudelnder Verletzung. Sprechende Gedanken raunten ihm Hass zu. Eine Stimme aber schwamm auf dem Ozean der Furcht, eine Stimme im Chaos. Die Stimme war wie ein Kuss, der sein ganzes Gesicht bedeckte, sein Haar hinter das Ohr steckte, das entsetzte Weiß seiner Augen mit Ruhe ausfüllte, zwischen seinen Zähnen Heilung brachte, sein Kinn in die rechte Richtung drehte. Die Stimme ließ ihn sein Herz sehen. Es war das Herz eines Menschen, hilflos und nicht in der Lage, andere Menschenherzen zu bewegen oder zu verändern.
»Nun, ich kann es auch nicht«, sagte die Stimme. Das Lächeln war wie Wein und französischer Gesang. Mit Manipulation ist es ohnehin unmöglich.
»Aber mein Kopf tut weh«, sagte er. »Denn ich weiß nicht mehr, durch welche Tür ich gehen soll.«
Gott half ihm auf.
»Ich kenne den Weg.«
»Wirklich? Ich suche die Wahrheit«, sagte er und kam sich vor wie Alice im Wunderland. »Gibt es nur eine Tür?«, fragte er.
Er wartete auf Gottes Stimme, die ihn wirklich beruhigte wie eine kleine Melodie. Sie war, als säßen sie zusammen auf einem sonnendurchfluteten Markplatz in einem Dorf weit ab. Seine Stimme war die Tür. Wie konnte diese Stimme lauter sein als das Getöse der Dämonen, die ihn vernichten wollten?
Er schlief ein. Es zirpte und grillte und summte um ihn herum. Seine schmerzende Verspannung kribbelte und löste sich auf. Als er aufwachte, war Gott noch immer da. Er sah ihn freundlich an, obwohl es schien, als wäre er auf einem Schlachtfeld gewesen. Seine Kleidung war zerrissen.
»Was hast du gemacht?«
Er staunte und rieb sich die Augen.
Gott zeigte hinter sich. Ein großes Feld lag in der Ferne im Nebel. Dämonen keiften lautstumm und gesichtslos. Eine unsichtbare Wand schien sie von ihm fernzuhalten. Träumte er? War er sie wirklich los? Sie hatten versucht, seine Seele zu zerstören. Sein Kopf tat nicht mehr weh; er fühlte sich aber seltsam leer, jedoch auf eine angenehme Weise.
»Was ist das?«, fragte er.
»Dein Herz«, sagte Gott.
Er sah nur Weite. Gott flüsterte an
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