Diabolus
Großrechner hing seit über zwanzig Stunden in einer endlosen Programmschleife fest. Aber wie Susan sehr wohl wusste, gab es auch ganz andere Programme, die das bewirken konnten, viel einfachere Programme obendrein. Viren. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter. Aber wie sollte ein Virus in den TRANSLTR gelangt sein? Phil Charturkian lieferte ihr die Antwort. Sie glaubte, seine Stimme aus dem Jenseits zu hören. Strathmore hat die Gauntlet-Filter umgangen! Als Susan die ganze Wahrheit begriff, schwanden ihr fast die Sinne: Strathmore hatte Tankados Datei mit Diabolus aus dem Internet heruntergeladen und versucht, sie zum Dechiffrieren in den TRANSLTR einzugeben. Aber die Gauntlet-Filter hatten die Datei wegen der darin enthaltenen Mutationsketten zurückgewiesen. Normalerweise hätte Strathmore sich das eine Warnung sein lassen, aber er hatte ja in Tankados E-Mails gelesen, dass die Mutationsketten in das Programm eingebunden waren - womit für ihn nichts mehr dagegen sprach, die Gauntlet-Filter zu umgehen und die Datei direkt in den TRANSLTR zu laden. Susan hatte es die Sprache verschlagen.
»Es gibt überhaupt kein Diabolus!«, keuchte sie heiser in das Geplärr des Alarms. Sie lehnte sich schwer gegen ihren Terminal. Tankado hatte mit Strathmore ein teuflisches Spiel getrieben . . . und Strathmore war ihm mit fliegenden Fahnen in die Falle gegangen. Ein langer gequälter Aufschrei drang zu ihr herein. Er kam von Strathmore.
KAPITEL 86
Als Susan atemlos in Strathmores Büro gelaufen kam, saß der Commander tief gebeugt an seinem Schreibtisch. Im Licht des Monitors glitzerten Schweißperlen auf seinem herunterhängenden Kopf. Unten dröhnten immer noch die Alarmhörner. Susan rannte zum Schreibtisch.
»Commander?« Strathmore rührte sich nicht.
»Commander! Wir müssen unbedingt den TRANSLTR abschalten! Wir haben einen . . .«
»Ich bin ihm wie ein Schaf ins offene Messer gelaufen!«, sagte Strathmore tonlos, ohne aufzusehen.
»Tankado hat uns gnadenlos an der Nase herumgeführt . . .« Strathmore war anzusehen, dass er alles begriffen hatte. Tankados Behauptungen von dem nicht dechiffrierbaren Algorithmus, die Auktion des Keys im Internet - alles nur Theater, alles nur Spiegelfechterei. Tankado hatte die NSA angestiftet, in seinen E-Mails herumzuschnüffeln, hatte ihr den Bären von seinem Partner aufgebunden und sie mit List und Tücke dazu gebracht, ihren Großrechner mit seinem verseuchten Lockvogel aus dem Internet zu füttern.
»Die Mutationsketten . . .« Strathmore verstummte.
»Ich weiß«, sagte Susan. Der Commander hob in Zeitlupe den Kopf.
»Die Datei, die ich aus dem Internet heruntergeladen habe. . . es war ein. . .« Susan versuchte, ruhig zu bleiben. Mit einem Mal sah alles ganz anders aus. Es hatte nie einen unangreifbaren Algorithmus gegeben, nie ein Verschlüsselungsprogramm namens Diabolus. Die von Tankado ins Internet gestellte Datei war ein verschlüsselter Virus, wahrscheinlich codiert mit einem handelsüblichen allgemein verkäuflichen Verschlüsselungsprogramm, das zwar genügend Sicherheit bot, um das normale Publikum außen vor zu halten - nicht aber die NSA. Ihr TRANSLTR hatte den schützenden Panzer geknackt und den Virus freigesetzt.
»Die Mutationsketten!«, krächzte Strathmore.
»Tankado hat gesagt, sie wären ein Teil des Algorithmus . . .« Strathmore sank wieder auf seine Schreibtischplatte. Susan konnte den Gemütszustand des Commanders gut verstehen. Er war dem Täuschungsmanöver von A bis Z aufgesessen. Bei jedem Schachzug, den Strathmore zu machen glaubte, hatte in Wirklichkeit Tankado hinter den Kulissen die Fäden gezogen. Es gab überhaupt keinen Algorithmus, kein Verschlüsselungsprogramm, das Tankado je hätte verkaufen können. Diabolus war eine Farce, ein Potemkin'sches Dorf, ein für die NSA maßgeschneiderter Köder. Strathmore stöhnte auf.
»Und ich Idiot habe die Gauntlet-Filter umgangen.«
»Das konnten Sie nicht wissen.«
»Ich hätte es aber wissen müssen!« Strathmore hieb mit der Faust auf den Tisch.
»Tankados Tarnname, verdammt nochmal! NDAKOTA! Schauen Sie doch mal genau hin!«
»Was meinen Sie?«
»Er macht sich über uns auch noch lustig! Das ist nichts weiter als ein Anagramm!« Ein Anagramm? Susan begann, die Buchstaben im Kopf zu vertauschen: Ndakota . . . Kadotan . . . Oktadan . . . Danokta . . . Tankado! Ihre Knie drohten nachzugeben. Strathmore hatte Recht. Es lag offen zu Tage! Wie
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