Diabolus
Ahnung.«
»Sieht chinesisch aus.« Japanisch, dachte Becker.
»Armes Schwein. Herzinfarkt, oder?« Becker nickte vage.
»Hat man mir jedenfalls gesagt.« Der Leutnant seufzte und schüttelte teilnahmsvoll den Kopf.
»Die Sonne von Sevilla kann grausam sein. Seien Sie morgen vorsichtig.«
»Danke«, sagte Becker, »aber morgen bin ich schon wieder zu Hause.« Der Polizist sah ihn erstaunt an.
»Sie sind doch gerade erst angekommen!«
»Weiß ich, aber der Mann, der mein Ticket bezahlt hat, wartet ungeduldig auf die Sachen.« Der Leutnant sah gekränkt aus, wie nur ein in seinem Stolz verletzter Spanier gekränkt aussehen kann.
»Soll das heißen, dass Sie unserer Stadt nicht die Ehre erweisen?«
»Ich bin früher schon einmal hier gewesen. Eine wunderschöne Stadt. Ich wünschte, ich könnte länger bleiben.«
»Dann haben Sie La Giralda also schon gesehen?« Becker nickte. Er hatte den alten Turm aus maurischen Zeiten zwar nicht bestiegen, aber gesehen hatte er ihn.
»Und was ist mit dem Alcázar?« Becker nickte noch einmal. Er erinnerte sich an den Abend, an dem er im Innenhof ein Gitarrenkonzert von Paco de Lucia gehört hatte - Flamenco unter dem Sternenhimmel, in einem Schloss aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Hätte er nur Susan damals schon gekannt!
»Und natürlich Christoph Kolumbus!«, sagte der Polizist mit einem strahlenden Lächeln.
»Er ruht in unserer Kathedrale.«
»Tatsächlich?« Becker blickte auf.
»Ich dachte immer, er wäre in der Dominikanischen Republik begraben.«
»Ach was! Wer setzt denn solche Märchen in die Welt? Kolumbus ruht hier in Spanien. Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten studiert?«
»An diesem Tag muss ich wohl gefehlt haben.«
»Die spanische Kirche ist sehr stolz auf die Reliquien von Kolumbus.« Die spanische Kirche. Becker wusste, Spanien kannte nur eine Kirche - die römischkatholische. In Spanien spielte der Katholizismus eine größere Rolle als im Vatikan.
»Wir haben natürlich nicht den ganzen Leichnam«, räumte der Leutnant ein.
»So/o los testículos.« Becker hielt inne und starrte den Leutnant an. Er bemühte sich, nicht zu grinsen.
»Nur die Testikel?« Der Polizist nickte stolz.
»Jawohl. Wenn die Kirche in den Besitz der sterblichen Überreste eines großen Mannes kommt, wird er heilig gesprochen, und seine Körperteile werden als Reliquien auf die Kathedralen verteilt, damit jedermann am Glanz des Heiligen teilhaben kann.«
»Und Sie haben hier die . . .« Becker unterdrückte den Drang zu lachen.
»iOye! Das ist ein wichtiger Körperteil!«, beharrte der Leutnant.
»Das ist nicht bloß eine lächerliche Rippe oder ein Knöchel wie bei diesen Kirchen in Galizien. Sie sollten wirklich hier bleiben und es sich ansehen!« Becker nickte höflich.
»Ich werde versuchen, auf meinem Weg aus der Stadt in der Kathedrale vorbeizuschauen.«
»¡Mala suerte!«, seufzte der Polizist.
»Was für ein Pech! Die Kathedrale ist bis zur Frühmesse geschlossen.«
»Dann eben ein andermal«, erwiderte Becker lächelnd und nahm den Karton an sich.
»Ich werde mich jetzt auf den Weg machen. Mein Flugzeug wartet.« Sein Blick glitt noch einmal prüfend durch den Raum.
»Soll ich Sie zum Flughafen bringen?«, fragte der Polizist.
»Meine Moto Guzzi steht vor der Tür.«
»Vielen Dank. Ich nehme ein Taxi.« Becker war im College Motorrad gefahren und hatte sich damals um ein Haar selbst umgebracht. Er hatte keinerlei Bedürfnis, sich jemals wieder auf ein solches Gefährt zu setzen, gleichgültig, wer fuhr.
»Wie Sie meinen«, sagte der Polizist und ging zur Tür.
»Ich mache das Licht aus.« Becker klemmte sich den Karton unter den Arm. Hast du auch wirklich alles? Er musterte ein letztes Mal die Leiche auf dem Blechtisch, die splitternackt und mit dem Gesicht nach oben unter dem Licht der Leuchtstoffröhren lag. Die merkwürdig deformierten Hände zogen Beckers Blick auf sich. Er betrachtete sie lange. Er wollte sie sich gerade genauer ansehen, als der Polizist das Licht ausschaltete. Der Raum lag im Dunkeln.
»Einen Moment!«, rief Becker.
»Machen Sie doch bitte noch einmal das Licht an.« Flackernd wurden die Leuchtstoffröhren wieder hell. Becker stellte die Schachtel auf dem Boden ab und trat zur Leiche. Über den Toten gebeugt, betrachtete er dessen linke Hand.
»Pah, wie hässlich!«, sagte der Polizist, der Beckers Blick gefolgt war. Aber Beckers Aufmerksamkeit galt nicht der Missbildung.
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