Diabolus
abwesend. Er war immer noch damit beschäftigt, diese grausame Wendung des Schicksals zu verdauen. Sie hat den verfluchten Ring weggegeben!
»Ich habe versucht, dem Sterbenden zu helfen«, verteidigte sich Rocío, »aber er schien gar nicht daran interessiert zu sein. Er hat immer nur diese Geste mit seinem Ring gemacht. Mit seinen drei verkrüppelten Fingern, die so merkwürdig nach oben standen, hat er uns den Ring förmlich ins Gesicht gestoßen. Immer wieder hat er uns die Hand entgegengestreckt in der Hoffnung, dass wir ihm den Ring abnehmen. Ich wollte nichts davon wissen, aber mein Bekannter hat den Ring schließlich doch genommen. Dann ist der Mann gestorben.«
»Und daraufhin haben Sie es mit einer Herzmassage versucht?«, mutmaßte Becker.
»Nein, wir haben den Mann überhaupt nicht angerührt. Mein Bekannter bekam es mit der Angst zu tun. Er ist zwar ein Riesenkerl, aber in Wirklichkeit ist er ein Schlappschwanz.« Rocío lächelte Becker verführerisch an.
»Keine Bange, er versteht kein einziges Wort Spanisch.« Becker runzelte die Stirn. Wieder fragte er sich, woher die Hämatome auf Tankados Brust gekommen waren.
»Haben die Sanitäter eine Herzmassage durchgeführt?«
»Das weiß ich nicht. Als sie eingetroffen sind, waren wir ja schon fort.«
»Sie meinen, nachdem Sie den Ring gestohlen hatten«, sagte Becker finster. Rocío sah ihn entwaffnend an.
»Wir haben den Ring nicht gestohlen. Der Mann lag im Sterben. Seine Absicht war klar und deutlich zu erkennen. Wir haben ihm seinen letzten Willen erfüllt!« Becker wurde wieder versöhnlich. Rocío hatte Recht. Vermutlich hätte er sich genauso verhalten.
»Aber dann haben Sie den Ring einem wildfremden Mädchen gegeben.«
»Ich habe es Ihnen doch schon erklärt. Der Ring hat mich nervös gemacht. Das Mädchen war mit lauter Schmuck behängt. Da habe ich gedacht, der Ring würde ihm gefallen.«
»Und dem Mädchen ist das nicht irgendwie komisch vorgekommen, dass Sie einfach so einen Ring verschenken?«
»Nein. Ich habe gesagt, ich hätte den Ring im Park gefunden. Ich dachte, das Mädchen würde mir etwas dafür geben, doch das war ein Irrtum. Aber das war mir auch egal. Ich wollte den Ring einfach nur loswerden.«
»Wann haben Sie dem Mädchen den Ring gegeben?« Rocío hob die Achseln.
»Heute Mittag. Ungefähr eine Stunde, nachdem wir an den Ring gekommen waren.« Becker sah auf die Uhr. Es war jetzt dreiundzwanzig Uhr achtundvierzig. Die Spur war inzwischen fast zwölf Stunden alt. Becker seufzte. Was in drei Teufels Namen hast du eigentlich hier verloren ? Du wolltest in den Smoky Mountains sein! Er stellte die einzige Frage, die ihm noch einfiel.
»Wie hat dieses Mädchen denn ausgesehen?«
»Era un punki«, antwortete Rocío. Becker sah sie verwirrt an.
»¿Unpunki?«
»Sí. Punki.«
»Eine Punkerin?«
»Ja, eine Punkerin! ¡Con muchas joyas! Mit lauter Glitzerzeug und Ketten behängt! An einem Ohr hatte sie so einen komischen Ohrhänger, einen Totenkopf, glaube ich.«
»Es gibt Punk-Rocker in Sevilla?« Rocío lächelte.
»¡Todo bajo el sol! Alles, was es unter der Sonne gibt!« Das war der Slogan des Fremdenverkehrsbüros von Sevilla.
»Hat das Mädchen Ihnen gesagt, wie es heißt?«
»Nein.«
»Hat es gesagt, wo es hin will?«
»Nein. Sein Spanisch war ganz miserabel.«
»Ach, es war gar keine Spanierin?«
»Nein, Engländerin, glaube ich. Mit ganz verrückten Haaren - rot, weiß und blau.« Becker schauderte bei dem Gedanken an die groteske Farbkombination.
»Könnte es vielleicht auch eine Amerikanerin gewesen sein?«, fragte er schließlich.
»Das glaube ich nicht«, widersprach Rocío.
»Das T-Shirt des Mädchens sah aus wie die britische Flagge.« Becker nickte stumm.
»Okay, rot-weiß-blaue Haare, ein UnionJack-T-Shirt, einen Totenkopf-Ohrhänger, was noch?«
»Nichts weiter. Nur eine ganz normale Punkerin.« Eine ganz normale Punkerin! Becker war in der Welt der Colleges zu Hause, wo die jungen Leute Sweatshirts und ordentliche Frisuren trugen! Von dem, was diese Frau ihm beschrieb, hatte er noch nicht einmal eine vage Vorstellung.
»Fällt Ihnen denn sonst nichts mehr ein?«, bohrte er. Rocío dachte kurz nach.
»Nein, das war schon alles.« In diesem Augenblick krachte das Bett. Rocíos Kunde hatte sich bewegt. Becker sah ihn an.
»Wissen Sie noch etwas?«, fragte er den Mann in perfektem Deutsch.
»Irgendetwas, was mir dienlich sein könnte, um diese
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