Diabolus
Greg Hale war eine Pest, und arrogant war er auch - aber er war kein Verräter. Er konnte einschätzen, wie katastrophal sich Diabolus auf die NSA auswirken musste. Es war einfach undenkbar, dass er sich an einem Komplott zur Vermarktung dieses Programms beteiligt hatte. Und doch, dachte Susan, was hätte ihn davon abhalten sollen, was außer Ehrgefühl und Anstand? Das Skipjack-Fiasko fiel ihr ein. Greg Hale hatte der NSA schon einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was sollte ihn daran hindern, es ein zweites Mal zu versuchen? Aber Tankado . . . , rätselte Susan, wieso vertraut ein Paranoiker wie Tankado ausgerechnet einem so unsicheren Kantonisten wie Greg Hale? Doch das zählte jetzt alles nicht mehr. Jetzt galt es, Strathmore ins Bild zu setzen. Ein ironischer Schlenker des Schicksals hatte ihnen Tankados Partner direkt vor die Nase gewedelt. Sie hätte nur zu gern gewusst, ob Hale bereits erfahren hatte, dass Tankado nicht mehr lebte. Susan schloss Hales E-Mail-Verzeichnis. Sie beabsichtigte, das Terminal genau so zu hinterlassen, wie sie es vorgefunden hatte. Hale würde nicht das Geringste merken - noch nicht jedenfalls. Nicht ohne Erstaunen wurde Susan klar, dass der Key für Diabolus womöglich irgendwo in diesem Terminal schlummerte. Als Susan den letzten Ordner schloss, huschte draußen ein Schatten über die Glaswand von Node 3 . Sie fuhr hoch und sah Greg Hale näher kommen. Susan schwamm in Adrenalin. Greg war auf dem Weg zur Schiebetür! Sie kalkulierte die Entfernung zu ihrem Platz.
»Verdammt«, zischte sie zwischen den Zähnen. Der Rückweg war nicht mehr zu schaffen. Hale war schon fast an der Tür. Susan fuhr herum und suchte Node 3 verzweifelt nach einem Ausweg ab. Der Fußschalter der Schiebetür hinter ihr klickte, der Öffnungsmechanismus sprach an. Susan reagierte rein instinktiv. Ihre Sohlen gruben sich in den Teppich. Mit wenigen Sprüngen schnellte sie in die Küche. Als die Scheiben der Schiebetür zischend auseinander führen, kam Susan schlitternd vor dem Kühlschrank zum Stehen und riss ihn auf. An der Kante des obersten Fachs schaukelte gefährlich ein Glaskrug, blieb aber zum Glück wackelnd stehen.
»Hungrig?«, erkundigte sich Hale, der quer durch den Raum auf die Küche zukam. Seine Stimme war ruhig mit einem neckischen Unterton.
»Leistest du mir auf einen Happen Tofu Gesellschaft?« Susan atmete tief durch, dann drehte sie sich um und schaute nach draußen zu Greg.
»Ach, danke, ich glaube, ich werde nur. . .« Der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken. Sie erbleichte. Hale sah sie kühl an.
»Ist was?« Susan biss sich auf die Lippen und schaute Hale geradewegs in die Augen.
»Nein, gar nichts«, sagte sie nonchalant, aber eine größere Unwahrheit hätte sie gar nicht von sich geben können. Auf der anderen Seite des Raums leuchtete der Bildschirm von Hales Terminal! Sie hatte vergessen, die Helligkeit herunterzufahren!
KAPITEL 37
Erschöpft ging Becker an die Bar im Erdgeschoss des Alfonso XIII . Ein zwergenhafter Barkeeper breitete eine Platzserviette vor ihm aus.
»¿Qué quiere tomar usted? Was möchten Sie trinken?«
»Danke, nichts«, sagte Becker.
»Ich wollte mich bei Ihnen nur erkundigen, ob es hier in der Stadt irgendwo einen Club für Punk- Rocker gibt.« Der Barmann sah ihn befremdet an.
»Einen Club für punki?
»Ja! Gibt es in dieser Stadt einen Schuppen, wo solche Jugendliche rumhängen?«
»No lo sé, señor. Das weiß ich nicht. Hier jedenfalls nicht!« Er lächelte.
»Wie wär's mit einem Drink?« Becker hätte den Kerl am liebsten am Kragen gepackt und geschüttelt. Heute lief aber auch nichts wie geplant.
»Was darf es sein?« wiederholte der Barkeeper.
»¿Fino? ¿Jerez?« Sanfte Klänge klassischer Musik rieselten aus den Deckenlautsprechern. Bach, dachte Becker, das vierte Brandenburgische Konzert. Letztes Jahr hatte er mit Susan an der Universität eine Aufführung der Brandenburgischen Konzerte mit der Academy of St. Martin in the Fields gehört. Er wünschte sich auf einmal, Susan wäre hier. Aus den Schlitzen der Klimaanlage fächelte eine kühle Brise. Die Temperatur draußen auf der Straße kam ihm jäh in den Sinn. Er sah sich schon auf der schweißtreibenden Suche nach einem Punk-Mädchen mit der britischen Flagge als T-Shirt die tristen Staßen von Triana abklappern.
Er musste wieder an Susan denken.
»Zumo de arándano«, hörte er sich
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