ihrem Tracer einen Abbruchbefehl hinterhergejagt. Für Susan wich die Frage nach dem Wie schnell der Frage nach dem Warum. Für einen Einbruch in ihr Terminal fehlte Hale jedes Motiv. Er hatte ja noch nicht einmal gewusst, dass sie einen Tracer losgeschickt hatte. Und selbst wenn er es gewusst hätte, dachte Susan, wieso sollte er etwas gegen ihre Suche nach der Adresse eines North Dakota haben? Die ungelöste Frage schien sich in ihrem Kopf zu verselbstständigen und zu vervielfachen.
»Das Wichtigste zuerst!«, ermahnte sie sich laut. Mit Hale würde sie sich später beschäftigen. Konzentriert konfigurierte sie den Tracer noch einmal und drückte auf die Entertaste. Ihr Terminal piepste:
TRACER ABGESCHICKT
Es mochte Stunden dauern, bis die Rückmeldung kam. Susan verfluchte Hale und fragte sich, wie um alles in der Welt er an ihren Zugriffscode gelangt sein und welches Interesse er an dem Tracer haben konnte. Sie stand auf und ging schnurstracks zu Hales Terminal. Der Bildschirm war dunkel, aber zugriffsgeschützt war das Terminal nicht, wie sie an dem schwachen Flimmern der Bildschirmränder erkennen konnte. Die Kryptographen verriegelten ihr Termial nur abends, wenn sie Node 3 verließen, ansonsten stellten sie lediglich die Helligkeit des Bildschirms auf null - ein allgemein gültiges und durch einen Ehrenkodex geschütztes Signal, dass an diesem Terminal niemand etwas zu suchen hatte. Susan setzte sich an Hales Tastatur.
»Pfeif auf den Ehrenkodex!«, sagte sie.
»Was zum Teufel geht hier vor?« Mit einem kurzen Blick über die Schulter hinaus in die verlassene Crypto-Kuppel fuhr Susan die Helligkeit des Monitors hoch. Er wurde hell, war aber völlig leer. Susan runzelte die Stirn. Was jetzt? Sie rief ein Suchprogramm auf und tippte:
SUCHE: TRACER
Es war ein Schuss ins Dunkle, aber wenn in Hales Computer irgendwelche Bezüge zu Susans Tracer gespeichert waren, würde das Suchprogramm sie finden. Das würde Rückschlüsse erlauben, weshalb Hale Susans Programm durch seinen Eingriff abgebrochen hatte. Schon Sekunden später kam eine Meldung:
SUCHBEGRIFF NICHT GEFUNDEN
Susan überlegte einen Moment. Sie wusste noch nicht einal genau, wonach sie suchen sollte. Sie machte einen neuen Versuch:
SUCHE: SCREENLOCK
Auf dem Monitor erschien eine Hand voll unverdächtiger Meldungen, aber keinerlei Hinweis darauf, dass Hale Susans Zugriffscode in seinem Computer gespeichert haben könnte. Susan stieß einen lauten Seufzer aus. Mit welchem Programm hat er denn heute gearbeitet? Sie ging in Hales Menü mit den letzten Anwendungen. Er hatte zuletzt das E-Mail-Programm benutzt. Sie suchte Hales Festplatte durch und stieß schließlich auf seinen E-Mail-Ordner, der diskret in einem anderen Verzeichnis versteckt war. Als sie den Ordner öffnete, erschienen etliche Unterverzeichnisse - Hale hatte offenbar zahllose E-Mail-Identitäten und eine Vielzahl von Accounts. Einer davon war anonym, was Susan wenig überraschte. Sie ging in den anonymen Account und klickte auf eine alte Mail. Was sie da zu lesen bekam, verschlug ihr den Atem:
AN:
[email protected] VON:
[email protected] GROSSER DURCHBRUCH! DIABOLUS IST FAST FERTIG.
DAS WIRD DIE NSA UM JAHRZEHNTE ZURÜCKWERFEN!
Wie im Traum las Susan die Nachricht wieder und wieder. Zitternd öffnete sie eine andere Mail.
AN:
[email protected] VON:
[email protected] DER ROTIERENDE KLARTEXT FUNKTIONIERT!
MUTATIONSKETTEN SIND DIE LÖSUNG!
Es war unfassbar, und doch war es Realität. E-Mails von Ensei Tankado! Er hatte an Greg Hale geschrieben. Die beiden arbeiteten zusammen. Susan war wie erschlagen von der ungeheuerlichen Wahrheit, die ihr vom Bildschirm entgegenflimmerte.
Greg Hale ist NDAKOTA!
Susans Augen saugten sich an dem Bildschirm fest. Verzweifelt durchforstete sie ihr Gehirn nach einer anderen Erklärung, aber es gab keine. Hier hatte sie den schlagenden Beweis, unvermutet und über jeden Zweifel erhaben. Tankado hatte Mutationsketten benutzt, um eine rotierende Klartextfunktion zu erzeugen, und Greg Hale hatte mit ihm konspiriert, um die NSA zu ruinieren!
»Das . . . das . . . gibt es einfach nicht!« Als wollte Hale widersprechen, hörte Susan das Echo seiner Stimme in ihrem Kopf: Wir haben eine Zeit lang korrespondiert . . . Strathmore hatte nichts anderes verdient . . . Eines nicht allzu fernen Tages werde ich von hier verschwinden . . . Dennoch konnte Susan noch immer nicht akzeptieren, was ihre Augen sahen. Gewiss,