Diadem von den Sternen
ersetzen.
Aleytys fühlte einen Qush über sich fliegen und lächelte wieder. Sie streckte einen Gedankenfühler aus und berührte sein Gehirn.
Zu ihrer Freude reagierte der Vogel sofort. Sie warf ihre freie Hand hoch und schnippte mit Daumen und Zeigefinger. Als würde er ihren Ruf beantworten, kam der Qush in einem langen, ungestümen Gleitflug heruntergeglitten. Er landete neben ihr im Sand und heftete wilde, gelbe Augen auf den Jungen.
„Sieh ihn dir an“, sagte sie gelassen. „Wenn ich es ihm befehle, wird er dir die Augen aus dem Schädel reißen.“ Sie machte eine Handbewegung, und der Qush sprang hoch, landete auf ihrer Hand; seine Flügel flatterten heftig. Erschreckt wich der Junge zurück. Der Qush landete auf einem Ast über seinem Kopf. „Immer, wenn du einen Qush über dir kreisen siehst, junge Ratte, dann denke daran, daß ich durch seine Augen sehen kann.“
Er schluckte.
„Nun?“ Sie hob ihre Hand.
„N-nein. Nein! Nein!“ Er riß sich aus ihrem gelockerten Griff los und wich zu den Büschen zurück.
„Achte auf dein Benehmen jenen gegenüber, die älter sind als du. Oder du wirst noch unangenehme Überraschungen erleben.“ Ihre Hand ruckte hoch; der Qush stieg frei zum Himmel auf.
„Ja-ja, Zaujeha.“ Er wirbelte herum und tauchte in den Büschen unter. Sie konnten das Bersten seiner rasenden Flucht langsam schwinden hören; er rannte in Richtung Versammlungsplatz.
„Da.“ Sie legte ihre Hand auf den Arm des Karawanenmannes. „Übrigens, ich habe nicht danach gefragt. Wie heißt du?“
„Tarnsian.“
„Du siehst, Tarnsian, du bist nicht allein. Nutze deine Gabe, laß dich nicht von ihr benutzen. Überall hast du Verbündete. Kämpfe, Zigeuner! Fußabstreifer sind nur dazu gut, dreckige Füße daran abzustreifen, aber du bist ein Mann.“
Er entfernte sich rückwärts gehend von ihr und setzte sich auf die Bank, sein Gesicht war zu einem milden Lächeln zerknittert.
Aleytys fuhr sich mit den Händen durch ihr Haar und stöhnte. „Ai-Aschla, ich geb’s auf!“
10
Leise, flüsternd pfeifend, trottete Aleytys den Korridor entlang und rieb lebhaft ihr feuchtes Haar. Als sie bei Azdars Gemach um die Ecke bog, hörte sie Stimmen. Ein Streit. Sie wurde langsamer und lauschte. Qumri und Azdar. Im Streit. Sie blieb stehen und ließ das Handtuch um ihre Schultern fallen. Die purpurne Tür war einen winzigen Spalt geöffnet. Vielleicht, wenn ich ein wenig näher herankomme … dachte sie. Vielleicht kann ich dann hören …
„… kann das Tal säubern und sie loswerden!“ In ihrer zornigen Besessenheit vergaß Qumri offenbar jede Vorsicht, sie ließ ihre Stimme in dem dringenden Bedürfnis zu überzeugen, laut werden. Aleytys wartete nicht länger. Leicht auf den Zehenspitzen laufend, durchquerte sie den quadratischen Vorraum und heftete sich an die Wand neben der Tür. Nervös hielt sie ihren Atem an und reckte sich hoch und drückte die Nachtkerze über ihrem Kopf aus, dann, sicherer im Schatten, sank sie wieder auf die Fersen herunter und lauschte begierig.
„… der Fluch. Kein Stein mehr auf dem anderen im Hause Azdars. Wenn du sie anrührst …“ Azdars Knurren klang ungewöhnlich, voller Versuchung, als sei er verführt, ihrem Rat zu folgen; gleichzeitig jedoch schien er Angst zu haben. Mein Vater. Pah!
„Der Sha’ir sagt, es gibt eine Möglichkeit.“
„Ghair fi’l! Was hat diese Schlange in meinem Haus herumzukriechen?“
„Hör mir zu, Azdar! Ich habe nach ihm geschickt. Nein, nein.“ Sie schien ihn zu beschwichtigen. Aleytys brannte darauf, in das Gemach zu sehen, aber sie wagte es doch nicht. Deshalb konnte sie sich die Bestürzung auf seinem Gesicht nur vorstellen.
„Hör zu“, fuhr Qumri angespannt fort. „Es gibt eine Möglichkeit. Das Atash Nau-Tavallud.“
„Was ist das?“
„Du weißt es. Halte mich nicht zum Narren, Azdar. Dumme Spiele. Das letztemal, daß das Tal Aschla im Atash angerufen hat, war vor zweihundert Dreifachjahren. Jedenfalls sagte dies der Sha’ir. Du kennst die Hirten, sie stehen Aschla näher als die Häuser.“ Qumris Stimme senkte sich zu einem leisen, überzeugenden Schnurren.
Eine Minute lang herrschte angespanntes Schweigen in dem Gemach. Aleytys bewegte sich ungeduldig. Ein Krampf erfaßte ihre Wade, und sie massierte das Bein, vor Schmerz biß sie sich auf die Lippe.
„Atash? Sie verbrennen?“ durchbrach Azdars Stimme die Stille. „Sie gehört nicht zur Sippe, ich weiß, aber sie ist noch immer mein
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