Diagnose zur Daemmerung
irgendwo im Hintergrund, wie Generäle, die einem nie glaubten, wenn man ihnen sagte, dass die Munition zur Neige ging. Stattdessen brüllten sie nur Marschbefehle.
Als Dr. Tovar lange genug über meinem Lebenslauf gebrütet hatte, blickte er zu mir hoch und schien für einen Moment überrascht zu sein. Schnell brachte er seine Gesichtszüge wieder unter Kontrolle und deutete auf einen freien Stuhl.
Ich nahm gegenüber von ihm Platz. Dieser Raum diente eindeutig als Büro; der einfache Schreibtisch und die zerkratzten Stühle waren nicht dazu gedacht, hier Patienten zu empfangen. Hinter ihm standen englische und spanische Bücher im Regal, offenbar dicke, aber veraltete medizinische Wörterbücher. Wäre der Raum noch kleiner gewesen, hätten sich unsere Knie unter der Tischplatte berührt.
»Warum genau lese ich eigentlich Ihren Lebenslauf?« Dr. Tovars leichter Akzent ließ darauf schließen, dass Englisch nicht seine Muttersprache war.
»Ein Glücksgriff?« Mein Versuch, möglichst überzeugend zu klingen, fiel etwas halbherzig aus.
Er zog eine Grimasse, dann musterte er mich von oben bis unten, fast genauso wie die Frau, die mich reingelassen hatte. In der Disco oder bei einem Date hätte sein Blick vielleicht etwas Anzügliches gehabt, aber in dieser Situation kam es mir nur so vor, als würde er wortlos all meine Defizite auflisten. Als er genug gesehen hatte, seufzte er. »Sie sprechen kein Spanisch, oder?«
»Leider nicht. Aber ich bin verdammt gut beim Scharade spielen.«
Er lächelte nicht einmal. »Sie schreiben hier über Ihre Arbeit mit Patienten aus unterschiedlichen Herkunftskreisen . Was verstehen Sie darunter?«
Irgendwie hatte ich meinen vorletzten Job ja umschreiben müssen. Schließlich konnte ich in meinem Lebenslauf nicht angeben, dass »meine Arbeit mit Vampiren stets reibungslos« verlaufen sei. »Ich habe in einem County Hospital gearbeitet, da hatten wir die unterschiedlichsten Patienten.«
»Warum haben Sie dort aufgehört?«
»Ich wollte nicht mehr in der Nachtschicht arbeiten.«
»Und dann haben Sie sich als Nächstes einen Job in einer Schlafklinik gesucht? Das ist doch ihre … momentane Beschäftigung, oder?«, ergänzte er, nachdem er meine Daten noch einmal überprüft hatte.
»Ich würde aber lieber tagsüber arbeiten. Mit Patienten, die bei Bewusstsein sind.«
Dr. Tovar gab ein nachdenkliches Brummen von sich. Eigentlich war er nicht wesentlich älter als ich, Anfang dreißig vielleicht, aber er wirkte viel gesetzter, als müsste er hier die Aura des weisen Mannes in den besten Jahren verströmen. Als Arzt in einem öffentlichen Gesundheitszentrum wurde das wahrscheinlich von ihm erwartet.
Ich versuchte, ein wenig Small Talk mit ihm zu machen. »Ähm … was ist eigentlich mit dem Wandgemälde draußen passiert?«
Er warf mir einen finsteren Blick zu. »Das haben wir übermalt. Ich will nicht, dass die Leute während meiner Schicht zum Tod persönlich beten.« Ich schluckte kurz, nickte aber dann, während er meinen Lebenslauf vor sich ablegte und fortfuhr: »Nehmen Sie es nicht persönlich, Miss Spence, aber sie sind für die Arbeit hier vollkommen unqualifiziert. Sie sprechen kein Spanisch, haben zuletzt nur mit schlafenden Patienten und noch nie in einer Einrichtung wie der unseren gearbeitet, und sie haben keinerlei Erfahrung jenseits des Krankenhauses. Ich denke nicht, dass Sie sich bei uns irgendwie einbringen können. In keinster Weise.«
Er war nicht unhöflich, nur gnadenlos direkt, was die Fakten betraf. Instinktiv wollte ich mich gegen ihn auflehnen – aber womit? Meine Mom hatte schon recht; nur weil ich im Kampf mein einziges Mittel sah, hieß das nicht, dass er auch immer das richtige war. Und warum sollte ich es darauf anlegen, jetzt, wo das Wandgemälde verschwunden war? Es war dämlich genug gewesen, das für eine Art Zeichen zu halten.
Und eine Absage hier bedeutete ja noch lange nicht, dass ich dazu verdammt war, ewig im Schlafzentrum zu arbeiten. Ich hatte meinen Lebenslauf noch an zahlreiche andere Stellen geschickt. Wenigstens wusste ich jetzt, dass ich mir eine bessere Lüge ausdenken musste, wenn man mich fragte, warum ich meinen letzten Job aufgegeben hatte.
Ich stand auf und reichte Dr. Tovar die Hand. »Tja, tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe.«
Er erwiderte den Händedruck. Seine Haut war warm, die Finger stark, und er nickte mir anerkennend zu. »Nicht viele Menschen sind bereit, in dieser Gegend zu
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