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Diagnose zur Daemmerung

Diagnose zur Daemmerung

Titel: Diagnose zur Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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was ich in dieser Nacht erlebt hatte, fehlte mir die Geduld für irgendwelche Spielchen.
    »Edie! Sieh mich an.« Er packte mich an den Schultern und schüttelte mich. Und dann veränderte sich plötzlich sein Gesicht: Die Haut wurde heller, die Augen wurden blau.
    Es war schon so lange her, dass ich einen Moment brauchte, um zu begreifen, was mit ihm geschah; eigentlich hätte ich schneller daraufkommen müssen. Hector war nicht mehr Hector. Sein Gesicht wurde ganz langsam zu dem eines Mannes, den ich in der Tat gut kannte.
    »Asher?« Ich schlug eine Hand vor den Mund, um nicht zu schreien. »Warum … warum hast du mir nicht gesagt, dass du es bist?«
    Er ließ mich los und trat einen Schritt zurück. »Ich habe versucht, mich zu verstecken.« Mit jeder Sekunde nahm sein Gesicht noch mehr von Ashers Zügen an.
    »Nein, tu das nicht. Bleib einfach Hector, okay?« Für heute hatte ich genug Heimsuchungen aus meiner Vergangenheit hinnehmen müssen.
    »Okay«, versprach er mit leiser Stimme.
    Mir wollte einfach nicht in den Kopf, dass Hector die ganze Zeit Asher gewesen war. Dass er mich kannte. Wir waren Freunde gewesen, eigentlich sogar mehr als Freunde, und er hatte sich vor mir versteckt … Warum?
    »Du warst also er … von Anfang an?«, hakte ich nach. Er nickte langsam. »Warum hast du es mir nicht gesagt?«
    »Das sollte alles ganz anders laufen, Edie.«
    »Ach ja? Erzähl doch mal, wie denn? Das wüsste ich dann schon ganz gerne!« Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen. Nicht zu fassen, dass er diese Show vor mir abgezogen hatte. »Die ganze Zeit renne ich rum und versuche übernatürliche Hilfe aufzutreiben, dabei wusstest du, wer ich bin, und du wusstest, was ich erlebt habe – du hättest mir verdammt noch mal helfen können!«
    »Nein, hätte ich nicht.« Das Licht der Straßenlaterne verriet mir, dass er sich wieder ganz in Hector zurückverwandelt hatte. Dann streckte er den Rücken durch und fuhr sich durch die dunklen Haare. »Du hast ja keine Ahnung, was ich durchgemacht habe …«
    »Weil du es mir nicht erzählt hast!«, unterbrach ich ihn vorwurfsvoll.
    Ihm war anzusehen, dass er mühsam versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und nicht einfach zurückzubrüllen. »Du bist nicht die Einzige, die Probleme hat, Edie.«
    Das machte mich erst mal sprachlos. Zwar war ich immer noch wütend, aber ich fragte vorsichtig: »Was ist los?«
    Er starrte zu Boden, als wüsste er nicht, wo er anfangen sollte. »Erinnerst du dich noch an den Gestaltwandler auf Y4, der dich angegriffen hat?«
    »O ja.« Er war Ginas und mein Patient gewesen, hatte den Verstand verloren und versucht, von der Station zu fliehen. Dabei hatte er seine Verwandlungsfähigkeit nicht länger kontrollieren können und die Gestalt sämtlicher Personen angenommen, denen er jemals begegnet war. »Er war verrückt.«
    »Schon komisch, dass du es so ausdrückst.« Asher atmete tief durch. »Was da mit ihm passiert ist, blüht jedem Gestaltwandler irgendwann. Falls er keine Vorkehrungen trifft.«
    Stirnrunzelnd versuchte ich, mich genauer daran zu erinnern. »Aber ich weiß noch, wie du gesagt hast, er sei von Vampiren gefoltert worden …«
    »Ich habe gelogen«, fiel mir Asher ins Wort. »Oder besser gesagt war das nur die halbe Wahrheit. Damals wollte ich dir den Zusammenhang nicht erklären.« Noch immer starrte er stur auf den Boden. »Niemand redet gerne darüber, wie er einmal sterben wird.«
    Schweigend wartete ich darauf, dass er fortfuhr.
    »Man kann nicht ewig als Gestaltwandler leben, Edie. Entweder kommt man mit zu vielen Menschen in Kontakt oder man wird zu alt dafür, jedenfalls geht man irgendwann innerlich zu Bruch.« Er legte eine Hand an seine Brust. »Man kann sein Selbst nicht mehr so gut beisammenhalten wie früher. Die Persönlichkeit, die man als die eigene erkennt, verblasst nach und nach, und wenn man nicht aufpasst, wird sie durch all die Personen ersetzt, die man berührt hat – durch alle, die man in seinem Inneren mit sich herumträgt. Dann hat man nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird man verrückt, oder man wählt eine der Alternativen aus und nimmt diese andere Persönlichkeit komplett an.« Asher streckte eine Hand aus und musterte sie, als gehörte sie einem Fremden. »Irgendwann erwischt es uns alle.«
    »Das verstehe ich nicht.« Eigentlich sollte Asher verschwunden sein, genau wie alle anderen, die ich vor der Ächtung gekannt hatte. Jetzt stand er vor mir – und ich sollte ihn sofort

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