Diagnose zur Daemmerung
wieder verlieren? »Dann hast du dir also Hector ausgesucht? Um nicht … verrückt zu werden?«
Asher nickte.
»Gibt es Hector wirklich?«
»Er ist Arzt in einer Klinik in Miami. Vor vielen Jahren habe ich ihn einmal berührt, und nach Silvester habe ich angefangen, als er zu leben. Wir sind im gleichen Alter, und er hat keine Familie. Der echte Hector ahnt nicht, dass er hier einen Doppelgänger hat, und er wird es auch nie erfahren.«
»Aber … Wer bist du denn jetzt?« Verwirrt kniff ich die Augen zusammen.
»Durch und durch Asher. Noch. Aber ich habe die ganze Zeit versucht, Hector zu sein. Ihn gewinnen zu lassen.« Endlich sah er mir in die Augen. »Ich muss mich selbst aufgeben. Aber das ist sehr schwer geworden, seitdem ich dich jeden Tag sehe.«
Ich biss mir auf die Lippe, um die nächste Frage zurückzuhalten. Wollte ich es überhaupt wissen? »Wie lange hast du noch?«
Er wandte den Blick ab. »Nicht mehr lange. Jeden Morgen, wenn ich aufwache, herrscht in meinem Kopf Chaos. Es wird immer schwieriger, zu unterscheiden, was ich bin und was er. Dabei sollte ich es nicht einmal versuchen, denn wenn ich nicht vergesse, wenn ich mich nicht aufgebe und ganz Hector werde, dann …«
»… wirst du wahnsinnig«, beendete ich den Satz für ihn und hatte dabei das gequälte Wesen vor Augen, das wir auf Y4 mit Medikamenten ruhiggestellt hatten. Mir war nie klar gewesen, dass ein Leben als Gestaltwandler ungefähr so war, als hätte man die übernatürliche Version der Huntington-Krankheit. »Kann man es irgendwie aufhalten?«
»In der gesamten Geschichte der Gestaltwandler ist es noch nie jemandem gelungen, dem zu entgehen.« Asher seufzte. »Mit vielleicht einer Ausnahme.«
Sofort stürzte ich mich auf diesen Strohhalm. »Wer? Können wir ihn aufspüren? Mit ihm reden? Ihn dazu bringen, dir sein Geheimnis zu verraten?«
»Er hat bereits versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen. Vor ein paar Monaten hat er mich ausfindig gemacht.« Unnachgiebig starrte Asher auf das Pflaster. »Und manchmal schickt er ein paar Schlägertypen vorbei, die meinen Geburtstag an die Klinikwände schmieren.«
»Warte mal – Montalvo ist ein Gestaltwandler?«
»O ja. Und zufälligerweise ist er auch mein Vater.«
Mir entgleiste das Gesicht. Dass Montalvo ein Gestaltwandler sein sollte, klang logisch, denn das würde auch erklären, wie er Adriana überlisten konnte. Aber Ashers Vater … »Wie kann das sein?«
»Ich weiß es nicht. Eigentlich sollte es unmöglich sein.« Welche Kraft es ihn kostete, sich seiner Vergangenheit zu stellen, war ihm am Gesicht abzulesen. »Er ist verschwunden, als ich noch klein war, hat mich und meine Mom einfach verlassen. Sie meinte, er habe gespürt, dass es bald so weit sein würde, und wollte einen Weg finden, um zu überleben. Meine Mutter hat mir allerdings nicht gesagt, dass so etwas mit Gestaltwandlern ständig passierte – und dass alle, die sich auf diese Suche begaben, mit Sicherheit im Wahnsinn endeten. Meine gesamte Kindheit über habe ich darauf gewartet, dass er zurückkommt.« Er lachte verbittert. »Was für eine Zeitverschwendung.«
Ich hockte mich auf die Motorhaube, während Asher angespannt auf und ab wanderte. »Aber woher weißt du denn, dass er wirklich dein Vater ist? Sieht er noch genauso aus, oder wie?«
»Nein, das erkenne ich daran, welches Interesse er an mir zeigt. Was er sagt und tut. Und an der Tatsache, dass alles an meinem Geburtstag stattfinden soll, am Siebzehnten. So lässt er mich wissen, dass er noch da ist, auch wenn er nicht mehr die volle Kontrolle über sich hat. Ich habe mich immer gefragt, was mit ihm passiert ist.« Stirnrunzelnd schüttelte Asher den Kopf. »Er muss losgezogen sein und sich den mächtigsten Menschen gesucht haben, den er finden konnte, um ihn zu berühren und seine Gestalt anzunehmen, bevor ihn der Wahnsinn einholte.«
»Und jetzt gibt er vor, dieser Mann zu sein, so wie du vorgibst, Hector zu sein?«
»So wie ich zu Hector werde.« Asher zog eine Grimasse. »Aber soweit ich weiß, hat er den echten Montalvo umgebracht und seinen Platz eingenommen.«
Das schockierte mich. »Macht ihr das immer so?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht immer sonderlich stolz auf meine Leute, Edie.«
»Erinnere mich daran, nie mit dir in einer dunklen Gasse zu verschwinden.«
Er warf mir einen ironischen Blick zu. »Warum sollte ich eine Krankenschwester werden, wenn ich auch ein Arzt sein kann?«
»Wenn ich mit dir fertig bin, wirst
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