Diamantene Kutsche
aber mit der wachsenden Überlegenheit Japans verlor Fandorin allmählich das Interesse an den wasserresistenten Eigenschaften des Aluminiums, ja sogar an der Suche nach der Galeone »San Felipe«, die 1708 mit ihrer Goldfracht sieben Meilen Süd-Süd-West vor der Insel Aruba gesunken war. An dem Tag, als Fandorins Tauchboot mit seiner Aluminiumnase endlich auf die aus dem Meeresboden ragenden Trümmer des spanischen Großmastes stieß, erreichte ihn die Nachricht vom Untergang des Panzerkreuzers »Petropawlowsk« mit der gesamten Mannschaft und dem Oberkommandierenden Admiral Makarow an Bord.
Am nächsten Morgen überließ Fandorin das Heben der Goldbarren seinen Partnern und reiste in die Heimat.
In Sankt Petersburg angekommen, wandte er sich an einen alten Kollegen, den er noch vom Dienst in der Dritten Abteilung her kannte, und bot seine Dienste an: Es gab bekanntlich viel zu wenig Japan-Spezialisten, und Fandorin hatte mehrere Jahre im Land der Aufgehenden Sonne verbracht.
Fandorins alter Bekannter freute sich sehr über dessen Besuch, erklärte jedoch, er würde ihn lieber für etwas anderes einsetzen wollen.
»Natürlich fehlen uns Japan-Kenner, wie auch vieles andere«, sagte der General, wobei er heftig mit den vom Schlafmangel roten Augen zwinkerte, »aber es gibt noch eine schlimmere Lücke, und zwar, mit Verlaub, an intimster Stelle. Wenn Sie wüßten, mein Lieber, in welch jammervollem Zustand unsere Spionageabwehr ist! In der kämpfenden Truppe geht es noch einigermaßen, aber im Hinterland sieht es finster aus. Die japanischen Agenten sind überall, sie handeln dreist und erfindungsreich, und wir können sie nicht fassen. Darin haben wir keine Erfahrung. Wir sind an gesittete europäische Spione gewöhnt, die unter dem Deckmantel vonBotschaften oder ausländischen Firmen agieren. Die Asiaten aber brechen alle Regeln. Und was mir am meisten Sorgen macht« – der große Mann senkte die Stimme –, »das sind unsere Verkehrsverbindungen. Wenn der Krieg Tausende Werst entfernt von Betrieben und Rekrutierungspunkten geführt wird, dann hängen Sieg und Niederlage von der Eisenbahn ab, von der wichtigsten Ader des Staatsorganismus. Eine einzige Arterie verbindet Petersburg mit Port Arthur. Und die ist schwach, sie pulsiert nur matt, leidet an Thrombosen, und vor allem: Sie ist kaum geschützt. Erast Petrowitsch, mein Lieber, zwei Dinge machen mir da Sorgen: die japanische Sabotage und die russische Schlamperei. Genügend Erfahrung im operativen Dienst haben Sie ja Gott sei Dank. Außerdem haben Sie doch, wie Sie mir berichteten, in Amerika eine Ingenieurausbildung absolviert. Kümmern Sie sich darum, ja? Die Bedingungen bestimmen Sie. Wenn Sie wollen, stellen wir Sie wieder in den Staatsdienst, wenn nicht – bleiben Sie ein freier Mann. Helfen Sie mir, seien Sie mir eine Stütze.«
So war Fandorin in den Dienst der hauptstädtischen Gendarmerie- und Polizeidirektion der Eisenbahn gelangt, und zwar als »freier Mann«, also als Berater, ohne Gehalt, aber mit weitreichenden Vollmachten. Seine Aufgabe war die Ausarbeitung eines Sicherheitssystems für die Eisenbahn, seine Erprobung in einem der Direktion unterstehenden Bereich und die anschließende Einführung in sämtlichen Eisenbahn-Gendarmeriedirektionen des Landes.
Diese aufwendige Angelegenheit hatte wenig gemein mit Fandorins bisherigen Tätigkeiten, war aber auf ihre Weise faszinierend. Zur Direktion gehörten 2000 Werst Eisenbahnstrecke, Hunderte Stationen und Bahnhöfe, Brücken, Bahndämme, Depots und Werkstätten – und das alles galt es vor möglichen feindlichen Angriffen zu schützen. Während die Gendamerie des Gouvernements nur einige Dutzend Mitarbeiter hatte, waren es in der Eisenbahndirektion über tausend. Eine ganz andere Größenordnung, eineganz andere Verantwortung. Außerdem waren die Eisenbahngendarmen laut Instruktion unabhänig von der politischen Polizei, und das war für Fandorin entscheidend. Er hatte zwar nichts übrig für die Revolutionäre, noch mehr verabscheute er jedoch die Methoden, mit denen die Geheimpolizei und die Sonderabteilung des Polizeidepartements die nihilistische Pest bekämpften. In diesem Sinne hielt Fandorin den Dienst bei der Gendarmeriedirektion der Eisenbahn für eine saubere Sache.
Fandorin wußte nicht viel über die Eisenbahn, konnte aber auch nicht als völliger Dilettant gelten. Immerhin war er diplomierter Fahrzeugingenieur und hatte vor zwanzig Jahren, während der Ermittlungen in einem
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