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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ziemlich verzwickten Fall, als Praktikant getarnt, eine Weile an einer Bahnstrecke gearbeitet.
    Im Laufe des vergangenen Jahres hatte der »freie Schütze« vieles erreicht. Auf allen Zügen, einschließlich Passagierzügen, fuhren nun Gendarmen als Posten mit; es war ein besonderer Wachplan zum Schutz von Brücken, Tunneln, Ausweichstellen und Signalen in Kraft; mobile Draisinebrigaden wurden gebildet usw. usf. Die in der hauptstädtischen Direktion eingeführten Neuerungen wurden rasch von den anderen Gouvernements übernommen, und bis jetzt (toi, toi, toi!) war noch kein größeres Unglück, kein einziger Sabotageakt passiert.
    Wenngleich Fandorins Dienststellung etwas sonderbar war, hatten sich in der Direktion alle an ihn gewöhnt, behandelten ihn mit Respekt und nannten ihn »Herr Ingenieur«. Der Chef, Generalleutnant von Kassel, verließ sich in allem auf seinen Berater und traf keine Entscheidung ohne ihn.
    Auch jetzt erwartete der Generalleutnant seinen Assistenten bereits auf der Schwelle seines Büros.
    Als er den hochgewachsenen, sportlichen Ingenieur am Ende des Flurs entdeckte, stürzte er ihm entgegen.
    »Nein, so etwas, gerade auf der Tesoimenitski-Brücke!« rief derGeneral schon von weitem. »Wir haben dem Minister immer wieder geschrieben, haben gewarnt, daß die Brücke morsch und unsicher ist! Und nun macht er mir Vorwürfe und droht mir: Wenn sich erweist, daß es japanische Sabotage war, stell ich Sie vor Gericht. Wieso Sabotage, zum Teufel! Die Brücke wurde seit 1850 nicht ausgebessert! Und nun haben wir den Salat: Sie hat das Gewicht der schweren Artillerie nicht ausgehalten. Die Geschütze sind hin. Es gibt viele Tote. Und das Schlimmste: Die Verbindung nach Moskau ist unterbrochen!«
    »Nur gut, daß es hier passiert ist und nicht bei Samara«, sagte Fandorin, der nach von Kassel dessen Büro betrat und die Tür schloß. »Hier kann man die Züge noch umleiten, über die Nowgoroder Strecke. Ist es denn sicher, daß die Brücke von allein eingestürzt ist, daß es keine Sabotage war?«
    Der General runzelte die Stirn.
    »Ich bitte Sie, wie sollte es Sabotage gewesen sein? Das müßten Sie doch am besten wissen, Sie haben die Instruktionen selbst ausgearbeitet. Auf der Brücke steht ein Posten, alle halbe Stunde werden die Gleise kontrolliert, auf den Bremsplattformen jedes Zuges stehen Gendarmen – in meinem Bereich herrscht absolute Ordnung. Sagen Sie mir lieber: Wieso diese ständigen Schicksalsschläge gegen unser armes Vaterland? Wir kämpfen doch ohnehin schon mit letzter Kraft. Tsushima zum Beispiel, nicht wahr? Haben Sie die Berichte gelesen? Eine komplette Niederlage, und dabei wurde nicht ein einziges feindliches Schiff versenkt. Wo kommt es nur auf einmal her, dieses Japan? Als ich meinen Dienst antrat, hatte von so einem Land keiner je gehört. Und innerhalb weniger Jahre ist es plötzlich aufgegangen wie Hefeteig. Einfach beispiellos!«
    »D-durchaus nicht«, antwortete Fandorin, wie immer leicht stotternd. »Japan hat 1868 mit der Modernisierung begonnen, vor siebenunddreißig Jahren. Die Zeit von Peters Thronbesteigung bis zum Sieg bei P-poltawa war sogar noch kürzer. Zuvor hatte esk-kein Rußland gegeben, und plötzlich war es aufgegangen, ebenfalls wie Hefeteig.«
    »Ach, hören Sie auf, das ist Geschichte«, winkte der General ab und bekreuzigte sich ausgreifend. »Ich werde Ihnen mal was sagen. Der Herr bestraft uns für unsere Sünden. Grausam bestraft er uns, wie den ägyptischen Pharao, mit schrecklichen Plagen. Bei Gott« – bei diesen Worten blickte der General zur Tür und senkte die Stimme zum Flüstern –, »wir haben den Krieg verloren.«
    »Ich bin nicht Ihrer A-ansicht«, unterbrach ihn Fandorin. »In keinem einzigen Punkt. Es ist nichts Schreckliches geschehen. Erstens. Es ist passiert, was zu erwarten war. Daß Rußland keine einzige Schlacht gewonnen hat, ist nicht erstaunlich. Das Gegenteil wäre ein Wunder gewesen. Unser Soldat ist schlechter als der japanische – er ist weniger ausdauernd, schlechter ausgebildet und hat einen schlechteren Kampfgeist. Der russische Offizier mag nicht übel sein, aber der japanische ist einfach großartig. Ganz zu schweigen von den Generälen (nehmen Sie es nicht persönlich, Exzellenz): Unsere sind f-fett und lahm, die japanischen dagegen straff und kämpferisch. Wenn wir uns bislang noch halbwegs halten, dann nur deshalb, weil Verteidigung leichter ist als Angriff. Aber keine Sorge, Leonti Karlowitsch, auch wenn wir

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