Diamantene Kutsche
Und ja, es ist wahr – ich liebe dich nach den Regeln des Jojutsu.«
Der Vizekonsul wich zurück.
»Aha! Du gibst es zu!«
»Was ist denn daran schlecht? Nehme ich etwa Geld von dir oder Geschenke? Verlange ich etwas von dir? Ich liebe so, wie ich es vermag. Wie ich es gelernt habe. Und du kannst mir glauben, ich habe es gut gelernt. Jojutsu ist die allerbeste Liebeskunst. Ich weiß das, denn ich habe auch die indische und die chinesische Liebeskunst studiert. Von der europäischen rede ich gar nicht, das ist Barbarei und Tölpelei. Aber selbst die Chinesen und die Inder verstehen wenig von der Liebe, sie widmen dem Fleischlichen zu viel Aufmerksamkeit.«
Während sie sprach, taten ihre flinken, leichten Finger ihr Werk: Sie knöpften auf, streichelten, krallten sich zuweilen in den gebannten Körper des Vizekonsuls.
»Schon wieder Jojutsu, ja?« stammelte er, wobei er sich kaum noch wehrte. »Wie heißt das bei euch, wenn das Opfer rebelliert und wieder gefügig gemacht werden muß? Irgendwie poetisch – ›Pflaumenregen‹, ›Tiger auf den Hinterpfoten‹?
O-Yumi lachte leise.
»Nein, das heißt ›Feuer gegen Feuer‹. Eine heftige Flamme löscht man am besten mit einer Gegenflamme. Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
Daran hegte Fandorin keinen Zweifel.
Einige Zeit später, nachdem beide Feuer miteinander verschmolzen waren und einander verschlungen hatten, lagen sie auf der Terrasse und schauten auf die schillernde Wasserfläche des Teichs. Mehrfach glomm ein Gespräch auf und erlosch wieder, denn miteinander zu schweigen war ebenso schön, wie miteinander zu reden.
»Eines habe ich Tsurumaki vergessen zu fragen«, sagte Fandorin und zündete sich eine Zigarre an. »Wie endet der Jojutsu-Kurs? In Europa endet es so: Die Verliebten leben lange und glücklich und sterben am selben Tag. Das ist bei euch bestimmt anders, oder?«
»Ja.« Sie stützte sich auf den Ellbogen und richtete sich auf. »Eine richtig angelegte Liebe endet nicht mit dem Tod, sondern mit einem raffinierten Finale, so, daß beide anschließend schöne Erinnerungen daran bewahren. Wir lassen das Gefühl nicht sterben, wir schneiden es ab wie eine Blume. Das tut ein wenig weh, aber dafür bleibt keine Verletzung zurück und keine Bitterkeit. Du gefällst mir so sehr! Für dich werde ich mir etwas besonders Schönes ausdenken, du wirst sehen.«
»Herzlichen Dank, aber lieber nicht. Wozu die Eile?« Fandorin zog sie an sich. »Der weise Tsurumaki hat mir etwas sehr Interessantes erzählt von einem Stadium mit dem Namen ›Die Sehne des Bogens‹.«
»Ja, ich glaube, es ist Zeit«, sagte sie mit vor Leidenschaft heiserer Stimme und umfing seinen Kopf mit den Händen. »Erste Lektion: Ich bin die Sehne, du das Holz, und unsere Liebe ist der Pfeil, mit dem wir mitten in den Mond treffen müssen. Schau ihn an, nicht mich. Wir schießen den Pfeil ab, und der Mond fällt herunter und zerschellt in tausend Splitter.«
Fandorin schaute zum Himmel, zu der ungerührt strahlenden Himmelsleuchte – die Ärmste ahnte nicht, welches Ende ihr beschieden war.
Die ganze darauffolgende Woche lebte Fandorin quasi in zwei Welten, die nichts miteinander zu tun hatten, der Welt der Sonne und der des Mondes. Die erste war heiß, aber träge und halb geisterhaft,denn der Vizekonsul war ständig schläfrig. Erst gegen Abend, wenn die Schatten länger wurden und schließlich verschwanden, erwachte Fandorin allmählich: zuerst sein Körper, der ungeduldig die Nacht herbeisehnte, dann sein Verstand. Schlaffheit und Schläfrigkeit waren wie weggeblasen, er war erfüllt von einem süßen, stetig anwachsenden Summen, und wenn der Mond am Himmel erschien, war der liebeskranke Vizekonsul vollkommen bereit, in die nächtliche, die wirkliche Welt einzutauchen.
Alles in dieser Welt war herrlich: Das Geräusch der Gummireifen, wenn er mit seinem Fahrrad über die menschenleere Uferstraße jagte, das metallische Quietschen des Schlüssels im Torschloß, der knirschende Kies auf dem Weg zum Pavillon. Dann begann das Quälendste und zugleich Aufregendste: Kommt sie oder nicht? Zweimal erschien O-Yumi tatsächlich nicht; sie hatte ihn vorgewarnt, daß sie womöglich manchmal nicht aus dem Haus entwischen könne. Er saß auf der Terrasse, rauchte Zigarren, schaute aufs Wasser und lauschte in die Stille. Dann trat hinter den Baumwipfeln die Sonne hervor, und er mußte verschwinden. Mit hängendem Kopf ging er zurück zum Tor, doch auch in der Bitterkeit des
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