Diamantene Kutsche
dann weiter? Ach ja, richtig! Die Phase ›Taifun‹. Gleich nach der Verzweiflung (o weh, sie wird nie die Meine!) arrangiert die Kurtisane ohne jede Vorwarnung ein intimes Rendezvous. Umwerfend, mit dem Einsatz sämtlicher Geheimnisse der Liebeskunst, aber nicht sehr lang. Das Objekt soll die Süße voll auskosten, aber nicht bis zur Sättigung. Dann folgt die Phase›Ayatsuri‹. Trennung durch unüberwindliche Schwierigkeiten. Eine solche Trennung bindet einen Mann stärker als jedes Rendezvous und raubt ihm schier den Verstand. Ayatsuri, das ist, wenn der Puppenspieler im Theater die Marionette führt. Waren Sie schon einmal in einer Bunraki-Aufführung? Gehen Sie unbedingt hin, bei euch in Europa gibt es nichts dergleichen. Die Puppen sind ganz und gar wie lebendig, und …«
»Hören Sie auf!« rief Fandorin, der spürte, daß er nicht mehr ertragen konnte. »Seien Sie um G-gottes willen still!«
Er fühlte sich sehr elend. Sein Herz schmerzte, in seinen Schläfen hämmerte es, die Knie zitterten und knickten ein.
Niedergeschmettert wischte er sich den eiskalten Schweiß von der Stirn und sagte mühsam: »Jetzt sehe ich, daß Sie recht haben. Und ich … Ich bin Ihnen dankbar. Wenn Sie nicht wären, hätte ich tatsächlich vollkommen den Verstand verloren. Im Grunde habe ich das schon … Aber ich werde nicht länger eine Puppe in ihren Händen sein!«
»Das sollten Sie nicht sagen«, entgegnete Tsurumaki. »Auf Sie wartet noch die schönste Phase: ›Die Sehne des Bogens‹. In unserem Fall ist das doppelt pikant.« Er lächelte. »Bogen heißt nämlich auf Japanisch yumi.«
»Ich weiß.« Fandorin nickte und blickte zur Seite. Im Kopf des vernichteten Vizekonsuls reifte ein Plan.
»Das ist die Phase des vollkommenen Glücks. Seele und Körper sind auf dem Gipfel der Seligkeit und sirren vor Lust wie eine gespannte Sehne. Um die Süße noch zu verstärken, fügt die Meisterin eine Prise Bitterkeit hinzu – Sie werden nie genau wissen …«
»Also«, unterbrach ihn Fandorin und sah dem Mann, der ihn vordem Irrsinn bewahrt, ihm aber dabei das Herz gebrochen hatte, düster in die Augen. »Genug vom Jojutsu. Das interessiert mich nicht. Geben Sie mir den Schlüssel, ich nehme ihn für einen Tag. Und ihr … Ihr geben Sie den anderen, für die Pforte. Sagen Sie ihr,ich werde im Pavillon auf sie warten, ab Mitternacht. Aber von diesem Gespräch hier kein Wort. Versprechen Sie das?«
»Werden Sie sie auch nicht töten?« erkundigte sich Tsurumaki vorsichtig. »Das heißt, das ist mir im Grunde egal, aber nicht unbedingt auf meinem Grund und Boden. Das würde mir auch Aldgernon übelnehmen, und er ist ein Mann, mit dem ich nicht gern zerstritten sein möchte.«
»Ich werde ihr nichts antun. M-mein Ehrenwort.«
Zum Tor ging Fandorin qualvoll langsam, jeder Schritt machte ihm Mühe.
»Ach, Jojutsu?« flüsterte er. »Das heißt bei euch also Jojutsu?«
Viele studieren,
Doch wenige beherrschen
Die Kunst der Liebe.
Klatschen mit einer Hand
Der Tag, der nach dieser verrückten Nacht anbrach, war mit nichts zu vergleichen. Entgegen den Naturgesetzen floß er vom Morgen bis zum Abend nicht gleichmäßig dahin, sondern bewegte sich in nervösen Sprüngen. Mal verharrten die Uhrzeiger auf der Stelle, mal übersprangen sie gleich mehrere Striche. Einmal, als das Uhrwerk elf oder zwölf schlagen wollte, versank Fandorin in ernsthaftes und anhaltendes Grübeln; eine Stimmung verdrängte die andere, seine Gedanken wechselten mehrfach die Richtung, und der störrische Big Ben schlug dazu sein Bom-bom-bom und wollte einfach nicht aufhören.
Im Amt ließ sich der Vizekonsul nicht blicken – er fühlte sich außerstande zu sinnvollen Gesprächen. Er aß und trank nicht, legte sich keinen Augenblick hin, setzte sich nicht einmal, sondern lief die ganze Zeit durchs Zimmer. Zuweilen redete er mit sich selbst,in wütendem Flüsterton, dann wieder schwieg er lange. Mehrmals schaute sein Kammerdiener durch den Türspalt herein, atmete geräuschvoll, ließ das Tablett mit dem längst erkalteten Frühstück klappern, aber Fandorin sah und hörte nichts.
Hingehen oder nicht hingehen – das war die Frage, auf die der junge Mann keine Antwort fand.
Das heißt, er traf mehrfach eine Entscheidung, und zwar unwiderruflich, doch dann ereignete sich das oben erwähnte Paradox der Zeit, und die Qual begann von neuem.
Als Fandorin sich ein wenig von der ersten Erstarrung erholt und zu einer gewissen Normalität gefunden
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