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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ausgefallenen Rendezvous lag eine gewisse Würze: Um so süßer würde die nächste Begegnung sein.
    Doch wenn Fandorin das Quietschen der Gartenpforte vernahm und anschließend die vertrauten leichten Schritte, veränderte sich die Welt schlagartig. Die Sterne leuchteten heller, der Mond dagegen zog sich zusammen, weil er wußte, daß er heute immer wieder herabfallen und zu funkelndem Staub zerschellen würde.
    Für das, was in diesen nächtlichen Stunden geschah, gab es keine Worte, ja, konnte es keine Worte geben, zumindest in keiner Sprache, die Fandorin kannte. Nicht nur deshalb, weil die europäischen Sprachen entweder verstummen oder ins Vulgäre abgleiten, wenn es um die Verschmelzung zweier Leiber geht. Nein, es war noch etwas anderes.
    Wenn sie sich liebten – bald gierig und simpel, bald raffiniert und ohne Eile –, erfaßte Fandorin das durchdringende, mit Worten nicht wiederzugebende Gefühl, daß der Tod existierte. Er hatte immer gewußt, seit seiner frühen Kindheit, daß die Existenz des Körpers unmöglich war ohne die Existenz der Seele – das lehrte der Glaube, das stand in zahlreichen wunderbaren Büchern. Doch nun, in seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahr, unter dem vom Himmel fallenden Mond, entdeckte er plötzlich, daß es auch umgekehrt war: Auch die Seele konnte ohne den Körper nicht leben. Es würde keine Auferstehung geben, keine Engel, keine langersehnte Begegnung mit Gott, sondern etwas vollkommen anderes, vielleicht aber auch überhaupt nichts, denn es gab keine Seele ohne Körper, ebensowenig wie es Licht ohne Dunkelheit gab, ebensowenig wie man mit einer Hand klatschen konnte. Wenn der Körper starb, starb auch die Seele, der Tod war absolut und endgültig. Das spürte er mit jeder Faser seines Körpers, und das war beängstigend, zugleich aber auch irgendwie beruhigend.
    So liebten sie einander, und mehr ist darüber nicht zu sagen.
     
    Glut ohne Kälte,
    Glück ohne Leid – wie Klatschen
    Mit nur einer Hand.

Akazienblüten
    Einmal ging O-Yumi früher als gewohnt; der Mond war schon weg, der Sonnenaufgang aber noch weit entfernt. Sie erklärte ihm nichts – das tat sie nie –, sagte nur: ›Ich muß gehen‹, zog sich rasch an, strich ihm zum Abschied über die Wange und glitt hinaus in die Nacht.
    Fandorin ging über den weißen Weg zum Tor, das sich in der Finsternisdunkel abhob, passierte den Teich, dann den Rasen. Als er am Haus vorbeiging, schaute er wie gewohnt hinauf, ob der Hausherr auf der Terrasse war. Ja, hinter der Brüstung erkannte er die korpulente Silhouette des Sterndeuters. Tsurumaki lüpfte respektvoll den Fes, Fandorin verbeugte sich gleichfalls höflich und ging weiter. Dieser wortlose Austausch von Begrüßungen war in den letzten Tagen zu einer Art Ritual geworden. Der joviale Bärtige war taktvoller, als Fandorin nach dem ersten Gespräch erwartet hatte. Vermutlich haben die Japaner den Takt im Blut, dachte Fandorin, der in jenem besänftigten, glückseligen Zustand schwebte, in dem man die ganze Welt lieben und in den Menschen nur Gutes sehen möchte.
    Plötzlich bemerkte er aus dem Augenwinkel etwas Seltsames, ein kurzes Aufblitzen, für das es in der mondlosen Welt keine Erklärung gab. Neugierig drehte Fandorin sich zu den dunklen Fenstern des Hauses um und sah hinter einem Vorhangspalt deutlich einen Lichtschein über eine Fensterscheibe gleiten – er blitzte kurz auf und verschwand sofort wieder.
    Fandorin blieb stehen. Der verstohlene Lichtstrahl erinnerte ihn an eine Lampe, wie sie Einbrecher und andere finstere Elemente benutzten. Einbrecher gab es in Rußland, in Europa, warum nicht auch in Japan?
    Oder war es bloß ein Dienstbote, der kein elektrisches Licht machen wollte, um die nächtliche Einsamkeit seines Herrn nicht zu stören?
    Die Dienstboten in diesem Anwesen waren so perfekt geschult, daß man sie nie sah und alles Notwendige wie von selbst geschah. Wenn Fandorin in den geliebten Pavillon kam, war dort stets aufgeräumt, auf dem niedrigen Tisch standen ein Imbiß und Kerzen, in der Nische eine Vase mit einem kunstvollen, jedesmal neu arrangierten Blumenstrauß. Wenn er im Morgengrauen zum Tor zurückging, waren die Wege stets gründlich gefegt, der Rasen frischgemäht, doch nie hörte er einen Besen, eine Gartenschere oder eine Sense. Nur einmal bekam er einen Diener zu Gesicht. Als Fandorin den Pavillon verließ, bemerkte er, daß er den Schlüssel verloren hatte. Er stand vor dem verschlossenen Tor, wühlte in seinen Taschen und

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