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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wollte schon zurückgehen, als plötzlich eine Gestalt in schwarzer Jacke und schwarzer Hose lautlos aus dem rosigen Morgendunst auftauchte, ihm mit einer Verbeugung den verlorenen Schlüssel überreichte und augenblicklich wieder verschwand – Fandorin konnte sich nicht einmal bedanken.
    Nun, wenn es ein Diener ist, gehe ich weiter, dachte der Vizekonsul. Aber wenn es nun doch ein Dieb ist oder, schlimmer noch, ein Mörder? Den Hausherrn vor einer Missetat zu bewahren wäre die beste Vergeltung für seine Gastfreundschaft.
    Fandorin schaute sich nach allen Seiten um und entdeckte selbstverständlich keine Menschenseele.
    Er ging rasch zum Fenster und schätzte die Höhe ab. Die Wand war mit rohen Granitplatten verkleidet. Fandorin stemmte seinen Fuß in eine Ausbuchtung, griff nach dem Fensterbrett, zog sich hoch und preßte das Gesicht gegen die Scheibe, genau an der Stelle, wo die Vorhänge auseinanderklafften.
    Erst sah er absolut nichts, im Zimmer war es stockfinster. Doch im nächsten Augenblick erschien in der hintersten Ecke ein zitternder Lichtkreis, glitt langsam über die Wand und riß bald ein Regal mit goldenen Buchrücken, bald den Rahmen eines Porträts, bald eine geographische Karte aus der Dunkelheit. Offenkundig war dies das Kabinett des Hausherrn oder die Bibliothek.
    Die Person mit der Lampe konnte Fandorin nicht erkennen, doch da er sicher war, daß kein Diener sich derart verdächtig verhalten würde, entschloß sich der Vizekonsul zu entschiedenerem Handeln. Er drückte vorsichtig gegen den linken Fensterflügel – verschlossen. Der rechte aber gab nach. Ausgezeichnet! Womöglich war der ungebetene Gast auf diesem Wege eingedrungen, vielleichtwar das Fenster aber auch zum Lüften einen Spalt geöffnet gewesen – das spielte jetzt keine Rolle. Hauptsache, er erwischte den nächtlichen Vogel.
    Wenn nur der Fensterflügel nicht quietschte!
    Vorsichtig, zentimeterweise schob Fandorin das Fenster auf, den Blick unverwandt auf den wandernden Lichtstrahl geheftet.
    Der verharrte plötzlich auf einem unauffälligen Regal. Ein leises Klappern, dann hörte der Lichtstrahl auf zu zittern.
    Er hat die Lampe auf den Boden gestellt, mutmaßte Fandorin.
    Im Lichtkreis erschien, genauer gesagt, in ihn hinein kroch jemand auf allen vieren. Fandorin erkannte schmale Schultern, glänzendes schwarzes Haar, einen gestärkten weißen Kragen. Ein Europäer?
    Der Vizekonsul zog sich höher hinauf, um sich aufs Fensterbrett zu knien. Noch ein wenig, und der Spalt war breit genug zum Hineinklettern.
    Doch plötzlich quietschte der verdammte Fensterflügel.
    Augenblicklich erlosch das Licht. Fandorin ließ die Vorsicht fahren, stieß das Fenster auf und sprang auf den Boden, kam aber nicht weiter, denn es war stockfinster. Er streckte die Hand mit der Herstal aus und lauschte angespannt, ob der unsichtbare Gegner sich anschlich.
    Der Unsichtbare war Fandorin keineswegs unbekannt. In dem kurzen Augenblick, bevor die Lampe erloschen war, hatte der Gebückte sich umgedreht, und Fandorin hatte den mit Brillantine eingeriebenen Scheitel, das schmale Gesicht mit der Höckernase und sogar die weiße Blume im Knopfloch erkannt.
    Seine Durchlaucht Fürst Onokoji, der mondäne Spion höchstpersönlich.
    Übermäßige Vorsicht war offenkundig unnötig. Der japanische Dandy hatte nicht die Absicht, den Vizekonsul anzugreifen. Der absoluten Stille im Zimmer nach zu urteilen, war der Fürst längst auf und davon. Aber das war jetzt unwichtig.
    Fandorin steckte den Revolver wieder weg und machte sich auf die Suche nach der Treppe in den ersten Stock.
     
    Tsurumaki hörte den Vizekonsul an und kratzte sich den Nasenrücken. Nach seiner Miene zu urteilen, hatte ihn die sensationelle Mitteilung weniger verblüfft als verwirrt. Er fluchte auf Japanisch und klagte. »Ach, diese Aristokraten! Er lebt unter meinem Dach, hat einen ganzen Flügel für sich allein, ich zahle ihm fünftausend Unterhalt im Monat, und das ist ihm noch immer zu wenig. Ja, ja, ich weiß, daß er mit Geheimnissen und Gerüchten handelt. Ich nutze manchmal selbst seine Dienste, gegen gesondertes Entgelt. Aber das geht zu weit. Offenbar steckt der Fürst bis über beide Ohren in Schulden. Ach!« Der Dicke seufzte kummervoll. »Wäre sein Vater nicht mein Onjin, würde ich ihn zum Teufel jagen. Immerhin wollte er an meinen Safe.«
    Fandorin verblüffte diese phlegmatische Reaktion.
    »Ich bewundere die Japaner für ihre Auffassung von Dankbarkeit, aber ich finde,

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