Diamantene Kutsche
hatte, sagte er sich, daß er keinesfalls in den Pavillon gehen würde. Das war der einzig ehrenhafte Ausweg aus der entsetzlich unehrenhaften Lage, in die das zur Unzeit erwachte Herz den Vizekonsul des Russischen Reichs gebracht hatte. Er mußte diese beschämende Geschichte entschieden ausmerzen und warten, bis es nicht mehr blutete und die durchtrennten Nerven nicht mehr schmerzten. Mit der Zeit würde die Wunde verheilen, die Lehre aber für sein ganzes restliches Leben vorhalten. Wozu noch melodramatische Szenen mit Anschuldigungen und Händeringen? Er hatte sich genug zum Narren gemacht, die Erinnerung daran war beschämend genug.
Er wollte Tsurumaki umgehend den Schlüssel zurückschicken.
Er tat es nicht.
Plötzlich aufsteigender Zorn hinderte ihn daran, Zorn der peinigendsten Art, nicht heiß, sondern eiskalt, Zorn, der die Hände nicht zittern, sondern sich zu Fäusten ballen läßt, den Puls langsam und pochend macht und das Gesicht mit tödlicher Blässe überzieht.
Wie hatte er, ein kluger, besonnener Mann, der zahlreiche Prüfungen in Ehren bestanden hatte, sich so behandeln lassen können? Und vor allem – von wem? Von einer käuflichen Person, einer kühl berechnenden Intrigantin! Er hatte sich benommen wie ein armseliger Welpe, wie eine Gestalt aus einer abgeschmackten Buffonade!Er knirschte mit den Zähnen bei der Erinnerung daran, wie er auf der Flucht vor der Hundemeute in die Pedale getreten war.
Nein, er mußte hingehen, unbedingt! Sie sollte sehen, wie er, Fandorin, wirklich war. Kein bedauernswerter, benebelter Grünschnabel, sondern ein solider, besonnener Mann, der ihr teuflisches Spiel durchschaut und voller Verachtung über die hinterhältige Falle hinwegsteigt.
Seine Kleidung sollte elegant sein, aber schlicht: schwarzer Gehrock, weißes Hemd mit Umlegekragen; nichts steif Gestärktes, keine Krawatte. Mantel? Ja, doch. Und unbedingt ein Spazierstock.
Er zog sich an, trat vor den Spiegel, zerwühlte sich das Haar, damit ihm eine lässige Strähne ist Gesicht fiel – und wurde plötzlich rot, als schaue er sich zu.
Mein Gott! Die Buffonade war keineswegs vorbei, sie ging weiter!
Unvermittelt war der Zorn verraucht, die krampfhaft geballten Fäuste entspannten sich. Fandorin wurde öde und traurig zumute.
Er warf den Mantel zu Boden, schleuderte den Stock beiseite und lehnte sich müde gegen die Wand.
Was ist das nur für eine Krankheit, die Liebe, dachte er. Wer quält den Menschen damit und warum? Sie mochte ja für andere durchaus notwendig und sogar fruchtbar sein, für einen gewissen Titularrat und Vizekonsul aber war dieses Rauschmittel eindeutig schädlich. Ihm brachte die Liebe nichts als Kummer, Enttäuschung oder gar Demütigung, wie in diesem Fall. Das war offenbar sein Schicksal.
Nein, er würde nirgendwohin gehen. Was scherte ihn diese fremde Frau, ihre Reue, ihr Erschrecken oder ihre Verärgerung? Wurde ihm davon etwa leichter ums Herz?
Augenblicklich hörte die Zeit auf mit ihren albernen Kapriolen, die Uhr tickte ruhig und gleichmäßig. Allein das bewies, daß er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Den restlichen Tag verbrachte Fandorin mit der Lektüre der»Aufzeichnungen des Flottenkapitäns Golowin über seine Abenteuer in japanischer Gefangenschaft 1811, 1812 und 1813«. Kurz vor Mitternacht legte er das Buch plötzlich beiseite und brach ohne weitere Vorbereitungen, nur mit einer Mütze auf dem Kopf, auf zu Tsurumakis Besitz.
Masa versuchte nicht, seinen Herrn aufzuhalten, und stellte keine Fragen. Er sah dem gemächlich Davonradelnden nach, schob sein Nunchaku in den Gürtel, hängte sich einen Beutel mit seinen Holzpantoffeln um den Hals und eilte in Richtung Bluff.
Das riesige schmiedeeiserne Tor ließ sich erstaunlich leicht und fast lautlos öffnen. Auf dem mondbeschienenen Weg zum Teich schaute Fandorin hinüber zum Haus. Er sah das Teleskop, das zum Himmel gerichtet war, und davor eine kräftige Gestalt im Kaftan. Offenbar war Tsurumaki heute nicht nach irdischen Spektakeln zumute, er bewunderte den Himmel. Die Sterne waren in der Tat so groß und hell, wie Fandorin sie seit seiner Gymnasiastenzeit nicht mehr gesehen hatte; damals hatte er gern im Planetarium gesessen und von Reisen zum Mond und zum Mars geträumt. Kaum zu glauben, daß das erst vier Jahre zurücklag!
Fandorin war sicher, daß er als erster im Pavillon eintreffen und dort lange allein im Dunkel sitzen würde, denn nach der hinterhältigen Lehre des Jojutsu mußte
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