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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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auf das gebeugte Knie des Vizekonsuls, mit dem anderen auf dessen Schulter, griff nach dem Fensterrahmen, ein Quietschen und ein Klacken – und das kleine Lüftungsfenster war offen. Asagawa zog sich hoch und saugte sich förmlich in das dunkle Rechteck, so daß nur noch sein Unterleib draußen hing. Dann verschwand auch der, und bereits Sekunden später wurde das ganze Fenster lautlos geöffnet.
    Bevor Fandorin in das Gebäude einstieg, hielt er der Ordnung halber die Zeit fest: siebzehn Minuten nach elf.
    Die Bauweise der japanischen Toilette erschien ihm sonderbar: eine Reihe niedriger Kabinen, die einen Sitzenden höchstens bis zur Schulter verbargen.
    In einer der Holzzellen entdeckte er Asagawa.
    »Ich rate Ihnen, sich zu erleichtern«, sagte der schwarze Kopf mit dem weißen Streifen um die Augen in unbekümmertem Ton. »Vor einer riskanten Aktion ist das sehr nützlich. Damit der Hara nicht zittert.«
    Fandorin lehnte höflich dankend ab. Sein Hara zitterte nicht im geringsten, ihn überkam lediglich das wehmütige Gefühl, daß diese Geschichte kein gutes Ende nehmen würde. Wie in jener denkwürdigen Nacht schossen ihm unsinnige Schlagzeilen durch den Kopf: »Russischer Diplomat ein Spion«, »Protestnote der japanischen Regierung an das Russische Reich« und sogar: »Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Rußland.«
    »Sind Sie bald fertig?« fragte der Vizekonsul ungeduldig. »Es ist d-dreiundzwanzig Minuten nach elf. Die Nächte sind jetzt kurz.«
    Von der Toilette aus schlichen sie einen langen dunklen Flur entlang, Asagawa in mit Stricken umwickelten Strohsandalen, Fandorin auf seinen Kautschuksohlen. Die Polizeiverwaltung lag in friedlichem Schlaf. So ist das also, wenn die Kriminalitätsrate gering ist, dachte Fandorin nicht ohne Neid. Sie trafen unterwegs nur auf ein einziges Büro, in dem Licht brannte und offenbar gearbeitet wurde, und einmal bog der wachhabende Offizier mit einer Kerze in der Hand um die Ecke.
    »Wir sind da«, flüsterte Asagawa und blieb vor einer hohen Doppeltür stehen.
    Er steckte ein Stück Eisen ins Schlüsselloch (ein ganz gewöhnlicher Dietrich, konstatierte Fandorin), drehte es herum, und schon standen die Komplizen in einem großen Raum: Eine Stuhlreihe am Fenster, der Tisch des Sekretärs, am anderen Ende eine weitere Tür. Offenbar das Vorzimmer. Von Konsul Doronin wußteFandorin, daß Japan vor sechs Jahren eine große Amtsreform durchgeführt hatte: Seitdem trugen die Beamten Uniform statt Kimonos und mußten auf Stühlen sitzen statt auf dem Boden. Die Beamtenschaft habe anfangs beinahe revoltiert, sich aber mit der Zeit daran gewöhnt. Schade. Das war bestimmt ein hübsches Bild gewesen. Man kommt in ein Büro, und alle Amtsvorsteher, Schreiber und Sekretäre tragen Kittel und sitzen mit gekreuzten Beinen auf dem Fußboden. Fandorin seufzte traurig, weil die Vielfalt der Lebensformen auf der Welt nach und nach durch eine einheitliche europäische Ordnung verdrängt wurde. In hundert Jahren war es vermutlich überall gleich, man würde nicht mehr merken, ob man in Rußland war oder in Siam. Wie öde!
    Der Raum hinter dem Vorzimmer war ebenfalls nichts Besonderes – ein ganz normales Büro einer hohen Amtsperson. Ein kurzer, breiter Tisch, davor ein langer, schmaler. An einer Seite zwei Sessel für inoffizielle Gespräche mit wichtigen Besuchern. Bücherregale mit Gesetzessammlungen. An sichtbarster Stelle ein photographisches Porträt des Kaisers. Das einzig Ungewöhnliche für japanische Begriffe war das Kruzifix, das neben dem Bild des irdischen Herrschers hing. Richtig, Suga war ja Christ, er trug auch ein Kreuz um den Hals.
    Ein schöner Anhänger Christi, dachte Fandorin kopfschüttelnd, schämte sich aber sogleich dafür: Als ob unsere Frommen nicht verraten und töten.
    Asagawa zog die Vorhänge fester zu, zündete eine Öllampe an und trat zu Fandorin. Er wirkte aufgeregt, geradezu feierlich.
    »Ich weiß nicht, ob wir das Versteck finden und überhaupt, wie das Ganze endet, darum sage ich jetzt, was ich sagen muß. Ich hätte allein herkommen müssen. Dies ist schließlich eine japanische Angelegenheit. Meine Angelegenheit. Aber ich bin Ihnen sehr dankbar, Fandorin-san, daß Sie sich erboten haben, mich zu begleiten. Ich vertraue Ihren Vermutungen mehr als meinen eigenen. OhneSie würde ich den Hebel bestimmt nicht finden, Sie aber sind schlau. Fast ebenso schlau wie Intendant Suga.«
    Fandorin verbeugte sich zeremoniell, doch der

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