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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Inspektor nahm das nicht als Ironie, sondern erwiderte die Verbeugung, nur noch tiefer.
    »Denken Sie nicht, ich wüßte nicht, daß Sie wesentlich mehr opfern als ich. Wenn wir erwischt werden, ist das für mich nicht weiter schlimm, ich werde mir einfach das Leben nehmen und das Geschlecht Asagawa, das zweieinhalb Jahrhunderte lang ehrlich dem Gesetz gedient hat, mit Schande bedecken. Sie aber bringen Schande über Ihr Land und Ihren Herrscher. Sie sind ein sehr mutiger Mensch, Fandorin-san.«
    Erneut verbeugten sie sich, diesmal ohne jede Scherzhaftigkeit von seiten des Vizekonsuls, und machten sich an die Suche. Es war elf Uhr siebenunddreißig.
    Zuerst klopften sie die beiden Seitenwände ab, dann teilten sie das Büro in eine linke und eine rechte Hälfte. Im Unterschied zum Inspektor, der in seiner Hälfte energisch Dielen und Fußbodenleisten abklopfte, berührte Fandorin fast nichts. Er ging gemächlich umher, seine amerikanische Taschenlampe in der Hand. Ein ausgezeichnetes Ding, der neueste Schrei der Technik. Sie gab einen hellen, starken Strahl. Wenn das Licht schwächer wurde, etwa alle anderthalb Minuten, mußte man eine Feder aufziehen, dann wurde es wieder heller.
    Fandorin blieb eine Weile vor dem Porträt stehen. Seine Majestät der Mikado trug darauf eine Militäruniform mit Epauletten und Säbel. Das südländische Gesicht mit dem schütteren Bärtchen schien von Degeneration geprägt (was nicht weiter erstaunlich war, wenn man die fünfundzwanzig Jahrhunderte alte Genealogie bedachte), doch der Blick von Kaiser Mutsuhito war neugierig und aufmerksam. Geduldig, vorsichtig, unsicher, wißbegierig – übte sich der Vizekonsul in Physiognomistik. Ein Meister des Ninsohätte bestimmt weit mehr gesehen, doch auch dies genügte, um zu sagen: Der gekrönte junge Mann wird es weit bringen.
    »Ich bin fertig mit meiner Hälfte«, verkündete Asagawa. »Nichts.«
    »Möchten Sie tauschen? Bitte sehr.«
    Fandorin ging in die Mitte des Raumes, setzte sich auf den Beratungstisch und wippte mit dem Fuß. Viertel nach zwölf.
    Ein Archiv ist etwas, das man häufig braucht. Der Hebel befand sich also entweder in Reichweite, so daß man ihn vom Schreibtisch aus bedienen konnte, oder in unmittelbarer Nähe des Eingangs zum Geheimraum. Auf dem Tisch hatte Asagawa alles gründlich untersucht. Also letzteres.
    Es gab nur zwei Wände, hinter denen das Versteck liegen konnte. Die zum Vorzimmer und die Außenwand schieden aus.
    Fandorin lief auf und ab und schaute sich um.
    Die Wanduhr schlug einmal. Der Vizekonsul zeigte darauf und fragte: »Haben Sie sie bewegt?«
    »Selbstverständlich.« Asagawa wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich habe das Zimmer in Quadrate unterteilt, ich bemühe mich, nichts auszulassen.«
    Stimmt, in der Uhr kann der Hebel nicht sein, überlegte Fandorin. Der Putzmann könnte ihn zufällig berühren. Oder der Uhrmacher, der das Uhrwerk wartet.
    »Ich bin fertig mit meinen Quadraten«, sagte der Inspektor niedergeschlagen. »Was tun? Ich versuche es noch einmal.«
    Ein Uhr zweiundvierzig. Wo konnte der Hebel sein? Unter den Tapeten und Fußbodenleisten nicht. Im Bücherschrank auch nicht. Die Bilder hatte Asagawa auch angehoben … Plötzlich erstarrte Fandorin.
    »Sagen Sie, haben Sie das Porträt des Kaisers angefaßt?«
    »Nicht doch! Wie könnte ich!« Der Inspektor zuckte angesichts dieser ungeheuerlichen Vermutung zusammen.
    »Aber irgend jemand wischt doch dort auch Staub?«
    »Diese heilige Pflicht erfüllt nur der Hausherr, mit aller gebotenen Ehrfurcht. Bei mir im Revier würde es niemand wagen, das erlauchte Porträt über meinem Schreibtisch zu berühren. Den Staub wische ich selbst vom Gesicht des Kaisers, wenn ich zum Dienst komme. Mit einem besonderen Seidentuch, nach einer Verbeugung.«
    »Alles klar! Dann werde ich Ihnen zeigen, wie man das V-versteck öffnet.«
    Der Vizekonsul trug einen Stuhl zur Wand, stieg darauf und griff nach dem Porträt. Asagawa stöhnte auf.
    »So«, gurrte Fandorin und drehte den Rahmen ruckartig nach links. Nichts geschah. »Nun, dann eben so.«
    Ein Ruck nach rechts – wieder geschah nichts. Fandorin zog das Porträt zu sich heran. Rückte es nach oben, nach unten. Schließlich drehte er es vollständig herum. Der arme Inspektor stöhnte nur.
    »Verdammt! Ich hab mich doch nicht etwa geirrt?«
    Fandorin nahm den Kaiser ab und klopfte die Wand ab. Es klang dumpf.
    Wütend hängte er das Porträt wieder an seinen Platz, wo es echauffiert

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