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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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hin und her schaukelte.
    Fandorin schämte sich. Nicht für seinen Irrtum, aber für den Hochmut, mit dem er gesagt hatte: »Alles klar!« Der Strahl der Taschenlampe glitt über die Tapeten und beleuchtete die Querleiste des Kruzifixes.
    Fandorin hielt den Atem an.
    »Sagen Sie, Inspektor, w-wer wischt auf dem K-kreuz Staub? Auch der Hausherr?«
    Er sprang auf den Boden, rückte den Stuhl näher ans Kruzifix und stieg erneut darauf.
    »Selbstverständlich. Der Putzmann würde das nicht wagen. Er weiß, daß dieser Gegenstand in Ihrer Religion heilig ist.«
    »Hm, hm, das sieht man …«
    Das christliche Glaubenssymbol wurde vom Intendanten offenkundig weniger verehrt als das Porträt des Kaisers – auf dem schwarzen Holz lag eine dünne Staubschicht.
    Fandorin versuchte, das Kruzifix zu verrücken – vergebens. Er leuchtete genauer hin und entdeckte, daß es nicht aufgehängt war, sondern in die Wand eingelassen. Merkwürdig! Man hatte dafür also eigens eine Nische ausgespart?
    Er versuchte, es herauszuziehen. Vergebens. Dann drückte er darauf.
    Mit einem kaum hörbaren Klacken versank das Kruzifix tiefer in der Wand, nun ragten seine Ränder nur noch einen Zoll daraus hervor.
    Im nächsten Augenblick ertönte ein klingendes Geräusch, ein Teil der Wand glitt rasch, beinahe ruckartig zur Seite, hinter die Bücherregale, und gab ein dunkles, fast mannshohes Rechteck frei.
    »Das ist es! Das Versteck!« rief Asagawa und blickte erschrocken zur Tür.
    Fandorin schaute mechanisch zur Uhr: zwei Minuten vor zwei.
    Der Inspektor sagte gefühlvoll, den Tränen nahe: »Ach, was hätte ich nur ohne Sie getan!« Und schlüpfte gebückt in den dunklen Raum.
    Den Vizekonsul interessierte die Bauweise der Geheimwand, die nun gut zu erkennen war. Verputzte Eichenbretter, darunter Kork. Darum hatte das Abklopfen nichts gebracht. Der Hebel betätigte mächtige Stahlfedern, was die Ruckartigkeit der Tür erklärte. Ob sie wohl ebenso energisch zuschlug, oder mußte man dafür selbst Kraft aufwenden?
    Nachdem Fandorin seine technische Neugier befriedigt hatte, folgte er seinem Komplizen.
    Das Geheimarchiv war ein schmaler, aber ziemlich langer, etwa zehn Schritte messender Raum, dessen ganze Wand Regale einnahmen. Auf den Holzbrettern standen gewöhnliche Aktenordnerverschiedener Dicke. Asagawa nahm einen nach dem anderen in die Hand, rief etwas auf Japanisch und legte ihn zurück. Auch der Vizekonsul griff nach einer Mappe; sie war etwas dicker. Auf dem Deckel standen Hieroglyphen. Die ersten beiden erkannte Fandorin mühelos: »Östliche Hauptstadt«, also Tokio, doch dann folgte Unverständliches.
    »Was steht hier?«
    »Tokioter Gouvernementverwaltung«, sagte Asagawa nach einem raschen Blick. »Was ist denn das! Minister, Mitglieder des Staatsrates, sogar – Sie werden es nicht glauben – Mitglieder der kaiserlichen Familie! Diesem Mann ist nichts heilig!«
    Er schaute in eine dünne Mappe, die einzeln stand, und zuckte zurück.
    »Ihre Majestät! Wie konnte er es wagen? Allein dafür verdient Suga den Tod!«
    »Was steht denn da über die Kaiserin?« erkundigte sich Fandorin neugierig und blickte dem Japaner über die Schulter. Er konnte nichts Interessantes erkennen – lauter Hieroglyphen, doch der Inspektor stieß ihn brüsk mit dem Ellbogen beiseite.
    »Ich habe es nicht gelesen, und ich erlaube es auch Ihnen nicht! Was für eine Ruchlosigkeit!«
    Mit zitternden Händen zerriß er das Blatt und einige andere Papiere, die in der Mappe lagen, in winzige Schnipsel.
    »Hören Sie, es ist zwei Minuten nach zwei.« Fandorin zeigte auf die Uhr. »Wir sind nicht deswegen hier. Wo ist die Mappe mit den Verschwörern?«
    Da Fandorin der Hieroglyphen nicht mächtig war, hatte er nichts zu tun. Während Asagawa auf den Regalen herumwühlte, leuchtete der Vizekonsul mit seiner Lampe in alle Richtungen. Er fand nichts Interessantes. Offenbar gab es hier drinnen keinen Hebel, die Tür ließ sich nur von außen öffnen und schließen. An der Decke hingen Gaslampen – vermutlich konnte man sie vom Büroaus einschalten, aber das war nicht nötig, die Öllampe und die Taschenlampe genügten vollkommen.
    »Hier!« hauchte der Inspektor. »Auf der Mappe steht ›Okubo‹.« Er blätterte fieberhaft in den Papieren. »Hier sind meine verschwundenen Berichte, alle drei! Und hier ein Rapport des Polizeichefs von Kagoshima. Er meldet, Agentenberichten zufolge sei der Fechtmeister Ikemura Heske mit zwei Schülern auf dem Weg nach Tokio.

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