Diamantene Kutsche
gereinigt werden. Du mußt aushalten. Gegen Mittag gebe ich dir eine andere Mixtur, dann hört der Schmerz auf, und die Gefahr ist vorbei. Schlaf ein, schlaf ganz fest. Ich gehe nicht fort, ehe du eingeschlafen bist.«
Dann muß ich so lange wie möglich wach bleiben, dachte er. Was konnte schöner sein: Daliegen und einer leisen Stimme lauschen.
Niemals am Tage,
Nur bei Nacht höre ich sie,
Die leise Stimme.
Buntschillernde Libellenflügel
Fandorin erwachte bald nach dem Morgengrauen, von gräßlicher Migräne gepeinigt. Am Vortag war der Schmerz dumpf und anfallsartig gewesen, nun aber fühlte es sich an, als habe man eine Schraube in seine Schläfe gedreht und drehe sie immer weiter hinein, obgleich sie ohnehin schon vollständig darin steckte. Doch eine unerbittliche Kraft zog sie immer weiter an, so daß Fandorin glaubte, sein Schädel müsse sich jeden Augenblick spalten.
Das Schlimmste aber war O-Yumis erneutes Verschwinden. AlsFandorin die Augen öffnete, sah er Masa an seinem Bett sitzen, eine Schüssel mit Eis und ein nasses Handtuch griffbereit. Die Herrin ist gegangen, erklärte er Fandorin, so gut er konnte. Vor Mitternacht. Hat den Mantel angezogen und ist gegangen. Hat gesagt, sie kommt wieder. Und befohlen, Eis bereitzuhalten.
Wohin war sie gegangen? Wozu? Und würde sie wiederkommen?
Quälende Gedanken! Durch sie und die Eiskompressen vergaß Fandorin die Schraube für eine Weile.
Der Sekundant traf um halb acht ein, dem feierlichen Anlaß gemäß gekleidet: Schwarzer Gehrock, schwarze Hose und statt des üblichen Fes ein Zylinder, der sich über Tsurumakis feistem Gesicht fremd ausnahm.
Der Vizekonsul war längst fertig. Sein gequältes Gesicht war ebenso weiß wie sein Hemd, doch seine Krawatte war exakt gebunden, sein Scheitel glänzte, seine Schnurrbartspitzen waren ein Muster an Symmetrie.
Da Fandorin an den schauspielerischen Fähigkeiten seines Kammerdieners zweifelte, hatte er ihm verschwiegen, daß Tsurumaki nunmehr im Verdacht stand, der oberste Akunin zu sein, darum empfing Masa den Gast mit allem Respekt. Auch vom Zweck des frühen Besuchs wußte der Diener Gott sei Dank nichts, sonst hätte er Fandorin bestimmt begleiten wollen, doch der trug ihm auf, zu Hause zu bleiben und auf O-Yumi zu warten.
Sie stiegen in die Kutsche und fuhren los.
»Alles erledigt«, sagte Tsurumaki in verschwörerischem Ton. »Das Gerücht ist in Umlauf. Der Ort ist bestens geeignet zum heimlichen Zuschauen. Es werden Zeugen kommen, da können Sie sicher sein.«
Es fiel Fandorin schwer, dem Schurken in das rotwangige, lächelnde Gesicht zu sehen, aber er überwand sich und sprach vom Wetter. Das Wetter war für die Regenzeit einfach wundervoll: Trüb, aber trocken, mit einer leichten Brise vom Meer.
Die Kutsche kroch die Chaussee hinauf. Bald lagen die Uferstraße und die steifen Villen des Bluffs unter ihnen. Ringsum waren Hügel, Büsche und Sandwege zum Spazierengehen.
»Sie sind schon da.« Tsurumaki wies nach vorn.
Abseits des Weges, auf einem runden, zu drei Vierteln von dichtem Gebüsch eingegrenzten Areal, standen drei dunkle Figuren. Einer der Männer nahm den Hut ab, um sich mit einem Tuch die Stirn abzuwischen – am roten Haarschopf erkannte Fandorin Bullcocks. Der zweite trug einen roten Uniformrock, einen Säbel und unterm Arm ein längliches Päckchen. Der dritte hatte eine Ledertasche zwischen den Beinen zu stehen. Wahrscheinlich der Arzt.
»Aha, und da ist auch das Publikum.« Der Japaner lachte zufrieden. »Der Zuschauersaal ist voll.«
Der Ort war in der Tat mit Bedacht gewählt. Zwar schien die Arena durch Sträucher vor fremden Augen geschützt, doch dieser Eindruck täuschte. Direkt über der Freifläche erhob sich ein Felsen, ebenfalls von Pflanzen überwuchert, und durch deren Grün hindurch schimmerten Zylinder, Melonen, sogar ein paar weiße Damenschirme. Wäre die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen, hätten gewiß auch einige Theatergläser aufgeblitzt.
Das Publikum wird enttäuscht sein, dachte Fandorin, während er über das taufeuchte Gras lief.
Bullcocks’ Sekundant nickte ihm kühl zu und stellte sich vor: Major Ruskin. Auch der Arzt nannte seinen Namen: Doktor Stein.
»Ich habe Herrn Bullcocks etwas Wichtiges zu sagen«, sagte Fandorin, als der Major das Seidentuch aufrollte, in das zwei Degen eingewickelt waren.
Sein »Reserveplan« war höchst simpel.
Er würde Bullcocks fragen, ob er sich kürzlich das Handgelenk gebrochen habe. Das würde
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