Diamantene Kutsche
dieser verneinen. Dann wollte Fandorin Tsurumaki öffentlich bloßstellen, vor Zeugen. Angefangen mit der hinterhältigen, für einen Sekundanten unerhörten Lüge. Unddann sogleich zum Wichtigsten kommen – Tsurumakis Rolle bei der Verschwörung gegen Okubo. Er hatte zwar keine Beweise, doch nachdem er Tsurumakis Betrug enthüllt hatte, würden die Zuschauer gegen den Japaner eingenommen sein und den Vizekonsul anhören. Bullcocks raste zwar vor Eifersucht, aber er war ein Staatsmann und würde die Wichtigkeit von Fandorins Erklärung durchaus begreifen. Schließlich hatte Tsurumaki nicht nur einen politischen Mord organisiert, sondern obendrein versucht, Großbritannien und dessen Vertreter in ein schlechtes Licht zu setzen. Damit wäre das Geheime öffentlich, und das Duell wurde zweitrangig. Die Zuschauer erwartete eine Enttäuschung.
Ohne die Kopfschmerzen und die Sorge um O-Yumi wäre dem Vizekonsul zweifellos etwas Zuverlässigeres eingefallen. Der »Reserveplan«, ein fragiles Produkt seiner Migräne, war keinen Pfifferling wert und zerfiel bei der ersten Berührung mit der Realität zu Staub.
»Der Ehrenwerte hat mir prophezeit, daß von Ihnen dergleichen zu erwarten sei«, sagte Ruskin stirnrunzelnd. »Nein, nein, keine Entschuldigung. Das Duell findet auf jeden Fall statt.«
»Ich habe nicht die Absicht, mich zu entschuldigen«, versicherte der Vizekonsul kalt. »Es geht um eine Frage von staatspolitischer B-bedeutung.«
Das Gesicht des Majors erstarrte zu einer Maske stumpfer Unbeugsamkeit.
»Ich habe klare Instruktionen. Keine Verhandlungen zwischen den Widersachern. Würden Sie bitte den Degen wählen?«
»He, Ruskin, was macht ihr da so lange?« rief Bullcocks gereizt.
»Ich habe erfahren, daß sich Ihr Freund vor kurzem die rechte Hand gebrochen hat«, sagte Fandorin, nun ein wenig besorgt, hastig zum Sekundanten. »Wenn das stimmt, kann das Duell nicht mit Degen ausgefochten werden. Darüber wollte ich eigentlich …«
Der Engländer unterbrach ihn verächtlich: »Unsinn. Aldgernonhat sich nicht die Hand gebrochen. Mit diesem Trick kommen Sie nicht durch. Ich habe zwar gehört, daß es bei den Russen kaum Gentlemen gibt, aber alles hat seine Grenzen!«
»Wenn ich mit Bullcocks fertig bin, nehme ich mir Sie vor«, versprach der Vizekonsul. »Ich w-werde Ihnen diese Worte in Ihren eisernen Schädel zurückhämmern.«
Diese beschämende Unbeherrschtheit rührte einzig aus Fandorins Ärger über sich selbst – er ahnte bereits, daß sein Plan nicht aufging. Er mußte nur Tsurumaki ansehen, der sein triumphierendes Lächeln nicht einmal verbarg. Hatte er etwas von seinem »Plan« geahnt? Nun war er natürlich überzeugt, den Russen übertrumpft zu haben.
Aber es blieb noch eine Hoffnung –Bullcocks alles zu erzählen, wenn sie sich Auge in Auge gegenüberstanden.
Ohne hinzusehen, packte der Vizekonsul einen Degen am lederbezogenen Griff.
Er warf seinen Mantel auf den Boden und stand nun lediglich im Hemd da.
Der Major entblößte seinen Säbel.
»Nehmen Sie die Ausgangsposition ein. Kreuzen Sie die Klingen. Sie beginnen auf mein Zeichen. Laut Abmachung wird der Kampf so lange fortgesetzt, bis einer der Gegner die Waffe nicht mehr halten kann. Go!«
Er schlug seinen Säbel klingend auf die gekreuzten Degen und sprang zur Seite.
»Ich muß Ihnen etwas mitteilen«, begann Fandorin hastig und halblaut, damit sich die Sekundanten nicht einmischten.
»Ha!« keuchte der Ehrenwerte statt einer Antwort und bedachte seinen Gegner mit einer Kaskade wütender Hiebe.
Sich mühsam schützend, mußte Fandorin zurückweichen.
Von oben ertönten Ausrufe, Applaus, und eine Frauenstimme rief »Bravo!«
»Nun warten Sie doch, zum Teufel! Zum Schlagen ist noch immer genug Zeit! Wir beide sind Opfer einer politischen Intrige …«
»Ich werde Sie töten! Jawohl! Aber nicht sofort. Erst kastriere ich Sie wie einen Hammel«, krächzte Bullcocks, ließ seine Klinge über Fandorins Degen gleiten und zielte direkt auf dessen Leistengegend.
Fandorin konnte sich gerade noch wegdrehen, stürzte, sprang wieder auf und ging erneut in Abwehrstellung.
»Sie Idiot!« zischte er. »Es geht um die Ehre Großbritanniens!«
Doch als er in die blutunterlaufenen Augen des Ehrenwerten blickte, begriff er, daß der ihn gar nicht hörte und daß die Ehre Großbritanniens oder Fragen von staatspolitischer Bedeutung ihn im Augenblick keinen Deut kümmerten. Was für ein Okubo, was für Intrigen? Hier ging es um den uralten
Weitere Kostenlose Bücher