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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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und die Blutung hörte sofort auf. Dann gab sie Fandorin einen Kräuteraufguß zu trinken, und der eiserne Ring um seinen Kopf schien gesprengt. Er schüttelte den Kopf, klapperte mit den Lidern, klopfte sogar mit der Hand gegen die Schläfen, empfand jedoch weder Übelkeit noch Schmerzen oder Schwindel. Ja, selbst die Müdigkeit war weg, und seine Muskeln waren von neuer, praller Kraft erfüllt; er hätte sofort wieder zum Degen greifen können, und wer weiß, wer diesmal gewonnen hätte … Die neuerworbene, wundersame Leichtigkeit in allen Gliedern ließ den ganzen Tag über nicht nach, sondern verstärkte sich eher noch. Das kam Fandorin sehr zupaß – die Nacht versprach stürmisch zu werden.
    Das Herz war selig, weil O-Yumi im Nebenzimmer schlief. War das nicht letztlich das Wichtigste?
    Der Verstand war selig, weil Fandorin erneut einen Plan hatte, diesmal einen richtigen, gut durchdacht und vorbereitet, kein Vergleich mit der Ausgeburt seines kranken Hirns, die ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Ein Wunder, daß er überlebt hatte!
    Als der siegreiche Bullcocks auf seinen besiegten Gegner stürzte, begriffen die Zuschauer nicht, was geschehen war, und schon gar nicht begriff es der auf seinen Tod gefaßte Fandorin. Er stieß den schweren Leib des Engländers von sich, richtete sich auf und wischte sich mit der Hand (über die heißes Blut rann) die Stirn ab (über die kalter Schweiß rann). Der Ehrenwerte lag auf dem Bauch, die Hand, die noch immer den Degengriff umklammerte, abgewinkelt.
    Arzt und Sekundanten rannten zu den beiden am Boden Liegenden.
    »Sind Sie schwer verletzt?« rief Doktor Stein Fandorin zu und hockte sich hin. Ohne die Antwort abzuwarten, tastete er den Vizekonsul rasch ab. Er bedachte die Schnittwunden mit einem Abwinken (»Das kann warten.«) und kümmerte sich um Bullcocks.Er fühlte dessen Puls, hob ein Augenlid an und stieß einen Pfiff aus.
    »Apoplexie. Wie kann man bei dem Blutdruck auch so rennen und springen! Mister Tsurumaki, Ihre Kutsche ist geräumiger. Bringen Sie ihn nach Hause? Ich komme mit Ihnen.«
    »Selbstverständlich, wir sind schließlich Nachbarn!« Tsurumaki faßte den Ehrenwerten geschäftig unter den Achseln, wobei er es vermied, Fandorin anzusehen.
    Fandorin wurde von Major Ruskin ins Konsulat gebracht, der ebenso blaß war wie er selbst. Ruskin zeigte sich besorgt und zuvorkommend, entschuldigte sich für seine Grobheit, die Folge eines Mißverständnisses gewesen sei – er bangte offenbar um seinen »eisernen Schädel«. Doch Fandorin stand der Sinn nicht nach dem Major. Er zitterte – und zwar nicht vor Erleichterung oder nervlicher Anspannung. Er war erschüttert von der offenkundigen Voreingenommenheit des Schicksals, das ihn zum wiederholten Mal gerettet hatte, ihm in einer verzweifelten, hoffnungslosen Situation zu Hilfe gekommen war. Daß der Schlag Bullcocks genau in dem Augenblick getroffen hatte, als der Besiegte nur noch wenige Sekunden zu leben hatte!
    Skeptiker würden dafür vermutlich eine rationale Erklärung finden und sagen, der Vorgeschmack der Rache habe dem Engländer, der ohnehin völlig außer Atem war, sämtliches Blut in den Kopf getrieben, und dadurch sei ein Gefäß geplatzt. Doch Fandorin selbst wußte: Wieder einmal hatte sein glücklicher Stern ihn beschützt, sein Schicksal. Aber zu welchem Zweck? Und würde das noch lange so weitergehen?
     
    Am Lager des blutüberströmten Märtyrers versammelten sich sämtliche Bewohner des Konsulats: der vor Kummer ganz gelbe Doronin mit Obayashi-san, Shirota, der sich auf die Lippen biß, die schluchzende Sofja Diogenowna und sogar die DienerinNatsuko, die allerdings meist Masa anstarrte. Ein rührendes Bild, sogar herzzerreißend, wozu vor allem Fräulein Blagolepowa beitrug, die darauf drängte, man möge unverzüglich, »bevor es zu spät« sei, zur Fregatte »Possadnik« nach dem Priester schicken, doch O-Yumis wundersame Manipulationen erweckten den Sterbenden wieder zum Leben. Er setzte sich auf, erhob sich vom Bett und lief durchs Zimmer. Schließlich verkündete er, er sei verdammt hungrig.
    Wie sich herausstellte, hatte niemand im Konsulat gefrühstückt – alle hatten von dem Duell gewußt, sich Sorgen gemacht um Fandorin und deshalb keinen Bissen heruntergebracht. In aller Eile wurde der Tisch gedeckt, gleich in Doronins Kabinett – für eine vertrauliche strategische Beratung.
    Sie sprachen kurz über das Duell, dann wandten sie sich Don Tsurumaki zu. Fandorins

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