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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Vizekonsul fröhlich und wies auf das Tor.
    »Nach Ihnen«, antwortete Shirota im selben scherzhaften Ton. Er hielt sich wirklich wacker.
    Schloß und Angeln waren gut geölt; sie gelangten geräuschlos auf das Anwesen.
    Sie hatten ausgesprochenes Glück mit dem Wetter: Es war trübe, dunkel, und der Regen dämpfte alle Geräusche.
    »Haben Sie den Plan im Kopf?« flüsterte Fandorin, während er die Treppe hinaufging. »Wir gehen jetzt ins Haus. Sie warten unten. Ich gehe hinauf …«
    »Ich weiß Bescheid«, antwortete der großartige Schreiber ebenso leise. »Vergeuden Sie nicht sinnlos Zeit.«
    Die Haustür war nicht abschließbar, worauf der Hausherr besonders stolz war und was ihnen nun äußerst gelegen kam. Fandorin lief lautlos die mit Teppich ausgelegten Stufen in den ersten Stock hinauf. Das Schlafzimmer lag am Ende des Flurs, neben dem Ausgang zur Terrasse.
    Schön wäre, wenn er jetzt aufwachte, dachte Fandorin plötzlich, als er mit der Linken am Türgriff zog (in der Rechten hielt er seine Herstal). Dann könnte ich dem Schurken mit vollem Recht, nicht aus bloßer Rachsucht, mit dem Revolvergriff eins überziehen.
    Als er sich zum Bett schlich, seufzte er sogar absichtlich, doch Tsurumaki erwachte nicht. Er ruhte süß auf einem weichen Federbett. Auf dem Kopf trug er nun keinen Fes, sondern eine weißeNachtmütze mit spießiger Troddel. Die Seidendecke hob und senkte sich friedlich über der breiten Brust des Millionärs. Seine vollen Lippen waren halboffen.
    Unter dem Kragen des Nachthemds funkelte eine goldene Kette.
    Jetzt wacht er bestimmt auf, dachte Fandorin, als er die Zange ansetzte, die Hand mit dem Revolver erhoben. Sein Herz hämmerte einen betäubenden, triumphierenden Rhythmus.
    Leise klackte das durchtrennte Metall, und die Kette rutschte dem Schlafenden vom Hals. Er grunzte selig und drehte sich auf die Seite. Fandorin hielt eine stachlige goldene Rose in der Hand.
    Am festesten schläft nicht derjenige, dessen Gewissen rein ist, sondern derjenige, der nie eins gehabt hat, dachte der Vizekonsul philosophisch.
    Er ging hinunter und winkte Shirota, ihm in die Bibliothek zu folgen, wo er jüngst den kriminellen Fürsten Onokoji – der japanische Gott sei seiner sündigen Seele gnädig – angetroffen hatte.
    Er ließ den Strahl seiner Lampe über die geschlossenen Vorhänge, die hohen Schränke mit den massiven Türen und die Bücherregale gleiten. Aha, da war es.
    »Leuchten Sie mir mal.«
    Er gab dem Schreiber die Lampe. Er tastete die Buchrücken ab und die hölzernen Stützen. Schließlich, als er auf den gewichtigen Band der Heiligen Schrift drückte (den dritten von links auf dem vorletzten Regal), knackte es. Fandorin zog das Regal zu sich heran, und es öffnete sich wie eine Tür. Dahinter glänzte in der Wand eine Stahltür.
    »Auf das Schlüsselloch, aufs Schlüsselloch«, sagte Fandorin ungeduldig.
    Nach einigem Ruckeln glitt die stachlige Rose mühelos hinein. Bevor der Vizekonsul den Schlüssel herumdrehte, untersuchte er gründlich Wand, Fußboden und Scheuerleiste auf Drähte einer eventuellen Alarmanlage – und ertastete unter der Tapete tatsächlich eine dicke, feste Ader. Ein zweites Mal in ein und dieselbe Falle zutappen wäre zumindest peinlich. Erneut kam die Zange zum Einsatz. Ritsch! – und die Alarmanlage war lahmgelegt.
    »Sesam, öffne dich«, flüsterte Fandorin, um Shirota zu ermuntern. Der Strahl der Lampe zitterte ein wenig, als seien die Nerven des Schreibers der Spannung nicht mehr gewachsen.
    »Was?« fragte der Japaner erstaunt. »Was haben Sie gesagt?«
    Offenbar kannte er die arabischen Märchen nicht.
    Mit einem leisen Klingen sprang die Tür auf, und Fandorin kniff zunächst die Augen zusammen, dann fluchte er halblaut.
    In dem Eisenkasten lagen Goldbarren, die im elektrischen Licht blendend funkelten. So viele, daß sie aussahen wie eine Ziegelmauer.
    Fandorin war maßlos enttäuscht. Tsurumaki hatte nicht gelogen. Er bewahrte in seinem Safe tatsächlich Gold auf. Wie dumm, wie typisch neureich! Sollte ihre ganze Aktion umsonst gewesen sein?
    Er konnte die ungeheure Niederlage noch immer nicht fassen, nahm einen Goldbarren heraus und schaute in die entstandene Lücke, doch auch in der nächsten Reihe funkelte das gelbe Metall.
    »Auf frischer Tat ertappt«, ertönte hinter ihm eine laute, spöttische Stimme.
    Fandorin drehte sich abrupt um. Er sah im Türrahmen eine kräftige, untersetzte Silhouette, dann flammte die Deckenlampe auf, und die

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