Diamantene Kutsche
Silhouette bekam Farbe, Form und Faktur.
Es war der Hausherr, noch immer die alberne Nachtmütze auf dem Kopf, einen Schlafrock überm Nachthemd, doch die Hosenbeine darunter gehörten keineswegs zu einem Pyjama.
»Der Herr Diplomat liebt Gold?« Lächelnd wies Tsurumaki mit einem Nicken auf den Goldbarren in Fandorins Hand.
Das Gesicht des Millionärs wirkte ganz und gar nicht verschlafen. Und Fandorin bemerkte noch ein weiteres interessantes Detail: An den Füßen trug er keine Hauspantoffeln, sondern ordentlich geschnürte Straßenschuhe.
Eine Falle, begriff Fandorin, und ihm wurde eiskalt. Er hat angezogenund mit Schuhen im Bett gelegen. Er hat mich erwartet, er wußte Bescheid!
Tsurumaki klatschte in die Hände, und von überallher – hinter den Vorhängen, aus den Türen, sogar aus den Wandschränken kamen Gestalten in gleichartigen schwarzen Jacken und schwarzen Baumwollhosen. Die Diener! Aber Shirota hatte doch gesagt, sie seien alle gegangen!
Es waren mindestens ein Dutzend Männer. Einen davon, einen sehnigen Krummbeinigen mit langen Affenarmen hatte Fandorin schon früher hier gesehen – er war eine Art Haushofmeister oder Majordomus.
»Was für eine Schande für das Russische Reich!« Tsurumaki schnalzte mit der Zunge. »Der Vizekonsul stiehlt Gold aus einem fremden Safe. Kamata, ju-o tore.«
Diese Aufforderung war an den Affenarm gerichtet. »Ju« hieß Waffe, »tore« – nimm, und Kamata war ein Name.
Fandorin erwachte aus seiner Betäubung. Er riß die Hand hoch und richtete die Herstal auf die Stirn des Hausherrn.
Kamata erstarrte auf der Stelle, ebenso die anderen »Schwarzjacken«.
»Ich habe nichts zu verlieren«, warnte Fandorin. »Befehlen Sie Ihren Leuten, sich zurückzuziehen. Unverzüglich, sonst …«
Tsurumaki lächelte nun nicht mehr, sondern schaute den Vizekonsul neugierig an, als wolle er erraten, ob dieser nur bluffte oder tatsächlich schießen würde.
»Ich schieße, keine Frage«, versicherte Fandorin. »Lieber Tod als Schande. Und wenn ich ohnehin sterben muß, dann mit Ihnen zusammen, das ist lustiger. Sie sind ein hochinteressantes Exemplar. Shirota, kommen Sie an meine linke Seite, Sie verdecken Herrn Tsurumaki.«
Der Schreiber gehorchte, trat aber, vermutlich vor Aufregung, nicht an Fandorins linke, sondern an seine rechte Seite.
»Sie wissen sehr gut, daß ich nicht wegen des Goldes gekommen bin.« Tsurumaki bewegte sich, doch Fandorin entsicherte warnend seinen Revolver. »Keine Bewegung! Und die anderen alle raus!«
Doch da geschah etwas Unbegreifliches, ja Unglaubliches.
Der treue Gefährte des Vizekonsuls, der Schreiber Shirota, hängte sich mit einem kehligen Schrei an Fandorins Arm. Ein Schuß krachte – die Kugel riß einen langen Splitter aus dem Eichenparkett.
»Was soll das?« rief Fandorin und versuchte, den Japaner abzuschütteln, doch da war Kamata mit zwei langen Sprüngen bereits beim Vizekonsul und drehte ihm den Arm auf den Rücken; dann folgten auch die anderen.
Im nächsten Augenblick stand Fandorin entwaffnet und hilflos an der Wand, festgehalten an Beinen, Armen und Hals.
Doch er schaute nicht auf die schwarzgekleideten Diener, sondern nur auf den Verräter. Der hob den Revolver vom Boden auf und reichte ihn mit einer Verbeugung Don Tsurumaki.
»Judas!« krächzte Fandorin. »Feigling! Halunke!«
Shirota fragte den Hausherrn etwas auf Japanisch – vermutlich bat er um die Erlaubnis, antworten zu dürfen. Tsurumaki nickte.
Der Verräter wandte Fandorin sein maskenhaft bleiches Gesicht zu. Doch seine Stimme war fest und zitterte nicht.
»Ich bin kein Feigling und schon gar kein Verräter und Judas. Ganz im Gegenteil, ich bin meinem Land treu. Früher glaubte ich, zwei Ländern dienen zu können, ohne meine Ehre zu verlieren. Doch Herr Kapitän Bucharzew hat mir die Augen geöffnet. Jetzt weiß ich, wie Rußland zu Japan steht und was wir von den Russen zu erwarten haben.«
Fandorin mußte den Blick abwenden. Er erinnerte sich an Bucharzews hochtrabendes Gerede von der »gelben Gefahr«, bei dem er es nicht einmal für nötig gehalten hatte, die Stimme zu senken, obwohl Shirota im Flur stand …
»Das ist Politik«, unterbrach ihn Fandorin. »Sie kann sich ändern. Aber Menschen verraten, die einem vertrauen, das darf man nicht! Sie sind Mitarbeiter des russischen Konsulats!«
»Nicht mehr. Wie Sie wissen, habe ich schriftlich um meine Entlassung ersucht und sogar begründet, warum ich Rußland nicht mehr dienen möchte.«
Auch
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