Diamantene Kutsche
wiedererwachter Verstand lechzte nach Rehabilitierung. Der Plan entstand augenblicklich, bei Roastbeef und Spiegelei.
»Er ist sicher, daß ich flachliege und nicht so bald aufstehen werde, rechnet also nicht mit meinem Besuch – erstens«, sagte Fandorin, eifrig mit der Gabel hantierend. »Wachen gibt es in der Villa nicht, er hat mir oft gesagt, daß er niemanden fürchte – zweitens. Und drittens – ich habe noch den Schlüssel zum Tor. Was folgt daraus? Ich werde ihm heute nacht einen Besuch abstatten, à l’anglaise, ohne Einladung.«
»Zu welchem Zweck?« Doronin kniff die Augen zusammen.
»Zu einem little friendly chat. Ich denke, wir werden ein Thema finden.«
Der Konsul schüttelte den Kopf.
»Sie wollen ihm Angst machen? Sie konnten sich doch davon überzeugen, daß dieser japanische Akunin den Tod nicht fürchtet. Zumal Sie ihn ja ohnehin nicht töten werden.«
Fandorin wischte sich mit einer Serviette den Mund, trank einenSchluck Rotwein und nahm sich ein Stück philippinischer Ananas. Schon lange hatte er nicht mehr mit solchem Appetit gegessen.
»Warum sollte ich ihm Angst machen? Er ist kein Fräulein und ich kein Gespenst. Nein, meine Herren, ich habe etwas anderes vor. Shirota, kann ich auf Ihre Hilfe zählen?«
Der Schreiber nickte und wandte kein Auge vom Vizekonsul.
»Ausgezeichnet. Keine Sorge, Sie müssen nichts Gesetzwidriges tun. Ins Haus eindringen werden ich und Masa. Sie setzen sich am Abend auf den Hügel über dem Anwesen. Ein hervorragender Beobachtungspunkt, der zudem auch von hier aus zu sehen ist. Sobald im Haus die Lichter erlöschen, geben Sie ein Zeichen. Haben Sie eine farbige Lampe?«
»Ja. Noch vom Neujahrsfest. Eine grüne, eine rote und eine blaue.«
»Nehmen Sie die blaue. Blinken Sie dreimal, mehrmals hintereinander. Masa wird auf der Treppe auf das Zeichen warten.«
»Das ist alles?« Shirota war enttäuscht. »Nur ein Zeichen geben, wenn im Haus die Lichter erlöschen?«
»Das ist alles. Das Licht wird gelöscht, wenn die Diener gehen. Das Weitere übernehme ich.«
Doronin hielt es nicht mehr aus.
»Sie mit Ihrer Liebe zum Geheimnisvollen! Sie dringen also ins Haus ein, schön, und was weiter?«
Fandorin lächelte.
»Don Tsurumaki hat einen geheimen Safe – erstens. Ich weiß, wo er sich befindet – in der Bibliothek, hinter den Bücherregalen – zweitens. Drittens weiß ich, wo der Schlüssel zum Safe ist – er hängt an Tsurumakis Hals. Ich habe nicht vor, Tsurumaki zu erschrecken, ich leihe mir nur kurz seinen Schlüssel aus und sehe nach, was sich im Safe befindet, während Masa den gastfreundlichen Herrn in Schach hält.«
»Sie wissen, was in dem Safe ist?« fragte Doronin.
»Nein, aber ich ahne es. Tsurumaki hat mir mal erzählt, er bewahre darin Goldbarren auf. Das war gelogen, da bin ich sicher. Nein, darin ist etwas Wertvolleres als Gold. Zum Beispiel ein gewisses Schema mit schlangenähnlichen Schriftzeichen. Womöglich auch noch interessantere Dokumente …«
Unvermittelt ging mit dem Konsul etwas Seltsames vor sich: Er riß sich die blaue Brille von der Nase, zwinkerte gegen das helle Licht, und sein Mund führte plötzlich ein Eigenleben – er zuckte, verzog sich, die Zähne gruben sich in die schmalen Lippen.
»Selbst wenn Sie etwas Wichtiges finden, können Sie es nicht lesen«, sagte Doronin dumpf. »Sie können doch nicht Japanisch. Und Ihr Diener wird Ihnen wenig nützen. Wissen Sie was …« Er stockte, aber nur einen Augenblick, dann fuhr er mit fester Stimme fort: »Wissen Sie was, ich werde Sie begleiten. Im Interesse der Sache. Ich habe es satt, nur Zuschauer zu sein. Das ist qualvoll und beschämend.«
Fandorin wußte: Wenn er jetzt auch nur die geringste Verwunderung äußerte, würde er den Konsul damit schwer kränken, darum antwortete er nicht sofort, sondern tat, als erwäge er die Zweckmäßigkeit dieses Vorschlags.
»Im Interesse der Sache ist es besser, wenn Sie hierbleiben. Sollte mein Ausflug übel ausgehen – ich bin schließlich nur ein Grünschnabel, ein Duellant und Abenteurer. Der Kapitänleutnant hat mich ohnehin bereits abgeschrieben. Sie dagegen sind eine Stütze der Yokohamaer Gesellschaft, der Konsul des Russischen Reichs.«
Doronins Augenbrauen krümmten sich zu wütenden Egeln, doch da mischte sich Shirota ein.
»Ich gehe«, sagte er rasch. »Oder soll ich etwa nur das Zeichen geben und dann auf dem Hügel herumsitzen? Das ist ziemlich dumm.«
»Wenn mein Stellvertreter und mein Schreiber in
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