Diamantene Kutsche
Im Gegenteil, er reckte sich träge, schloß das Fenster, verriegelte es und trat langsam zurück ins Zimmer.
Im Flur fing er an zu rennen.
Das ist das Dach des Clubhotels, dachte Fandorin, da kann man von hinten raufklettern, über die Feuertreppe.
Geduckt lief er am Zaun entlang zum Nachbargebäude. Im nächsten Augenblick war er bereits oben. Ein Knie auf den regennassen Dachziegeln, zog er seine Herstal aus dem Halfter.
Irgendwo in der Nähe, auf der gegenüberliegenden Schräge, knirschten leichte Schritte.
Fandorin versteckte sich nicht mehr und stürmte voran, wobei er nur eines dachte: Bloß nicht ausrutschen!
Er erreichte den First und schaute hinüber – genau im rechten Augenblick, um an der Dachkante eine schwarze Gestalt in enganliegendem schwarzem Anzug zu entdecken. Wieder der Unsichtbare!
Der Vizekonsul riß die Hand hoch, kam aber nicht mehr zum Schießen – der Ninja sprang hinunter.
Die Beine weit gegrätscht, rutschte Fandorin kopfüber das Ziegeldach hinab, hielt sich am Regenrohr fest und hängte sich daran.
Wo war der Ninja? Hatte er sich zu Tode gestürzt, oder regte er sich noch? Aber so angestrengt Fandorin auch spähte – er konnte unten niemanden entdecken. Der Unsichtbare hatte sich in Luft aufgelöst.
»Omae ikanai. Hitori iku« 1 , sagte Fandorin zu seinem Diener, als er ins Konsulat zurückkehrte. »O-Yumi-san mamoru. Wakaru?«*
Masa verstand. Den Blick weiter starr auf den Hügel gerichtet, auf dem früher oder später ein blaues Licht blinken würde, nickte er. Fandorin hatte eigentlich doch Glück mit seinem Diener.
Noch eine Stunde, vielleicht sogar anderthalb, saß der Vizekonsul mit der Uniformmütze auf dem Kopf am Fenster, rauchte Zigarren, und sein Körper, sein Herz und seine Seele waren, wie gesagt, selig.
Sie beobachteten ihn? Mochten sie ruhig! Das Motto dieser Nacht lautete: Schnelligkeit und Angriff.
Bei der vierten Zigarre sah Masa zur Tür herein. Es war soweit!
Nach der simplen Ermahnung an seinen Diener ging Fandorin hinaus auf die Treppe.
Ja, da war das Zeichen. Über dem Bluff (scheinbar jedoch am Himmelsrand) blinkte ein kleiner blauer Stern mehrmals auf und erlosch wieder.
Am blauen Himmel
Findet man ihn nicht so leicht,
Einen blauen Stern.
Die Bruyérepfeife
Fandorin packte sein schon bereitgestelltes Fahrrad, rollte es die Treppe hinunter und im Laufschritt zum Tor. Draußen sprang er in den Sattel und trat in die Pedale. Nun sollte mal einer versuchen, ihn zu verfolgen!
Um eventuelle Späher zu verwirren, bog er nicht nach rechts ab in Richtung Bluff, sondern nach links. Er jagte mit Höchstgeschwindigkeit dahin und schaute dabei immer wieder in den Spiegel. Doch hinter ihm, auf der beleuchteten Uferstraße, glitt kein einziger schwarzer Schatten vorbei. Vielleicht war seine simple List ja gelungen. Die einfachsten Tricks waren bekanntlich oft die sichersten.
Ihr Trick war in der Tat geradezu kindlich: Am Fenster saß nun anstelle des Vizekonsuls Masa – mit Schirmmütze und Zigarre. Wenn sie Glück hatten, wurde der Tausch nicht so bald bemerkt.
Zur Sicherheit fuhr Fandorin, ohne das Tempo zu drosseln, einen weiten Kreis durch das Settlement und erreichte den Bluff von der anderen Seite, über den Fluß Ookagawa.
Die Kautschukreifen glitten mit wundervollem Rauschen durch die Pfützen, unter den Reifen flogen Spritzer auf, die im Licht der Straßenlaternen freudig glitzerten. Fandorin fühlte sich wie ein Habicht, der über die nächtlichen Straßen flog. Er sah das Ziel, es war ganz nahe, und niemand konnte seinen stürmischen Angriff verhindern. Akunin, ich komme!
Shirota wartete an der verabredeten Straßenecke.
»Ich habe durchs Fernglas gesehen«, meldete er. »Das Licht ist vor fünfunddreißig Minuten erloschen – überall, bis auf ein Fenster im ersten Stock. Die Diener sind in das Haus hinten im Garten gegangen. Vor fünfzehn Minuten ist auch das letzte Fenster erloschen. Da bin ich vom Hügel heruntergestiegen.«
»Hast du auf die Terrasse gesehen? Ich sagte ja, er b-beobachtet gern die Sterne.«
»Was für Sterne? Es regnet.«
Fandorin gefiel die Haltung des Schreibers: ruhig, sachlich, unaufgeregt. Gut möglich, daß Kanji Shirotas eigentliche Berufung nicht darin lag, sich die Ellbogen in einem Büro abzuwetzen, sondern in einem Handwerk, das Kaltblütigkeit und Risikobereitschaft verlangte.
Hauptsache, er verzagte nicht, wenn es wirklich ernst wurde.
»Nun denn, zu Tisch. Es ist serviert«, sagte der
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