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Diamantene Kutsche

Diamantene Kutsche

Titel: Diamantene Kutsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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eine dumme Geschichte geraten, bin ich sowieso verloren!« entgegnete Doronin hitzig. »Da will ich lieber selbst …«
    Aber Shirota unterbrach seinen Vorgesetzten respektlos.
    »Ich zähle nicht. Erstens bin ich nur ein einheimischer Angestellter.« Er lächelte schief. »Und zweites werde ich ein Entlassungsgesuch verfassen, mit dem Datum von gestern. In diesem Brief wird stehen, daß ich Rußland nicht länger dienen möchte, weil ich von dessen Politik gegenüber Japan enttäuscht bin oder etwas in der Richtung. Wenn Herr Fandorin und ich also, wie Sie sich ausdrücken, ›in eine dumme Geschichte geraten‹, handelt es sich lediglich um ein kriminelles Komplott eines Grünschnabels und Abenteurers (ich bitte um Verzeihung, Erast Petrowitsch, aber Sie selbst haben sich so bezeichnet) und eines bereits aus russischen Diensten entlassenen geisteskranken Einheimischen. Nicht mehr.«
    Diese gewichtigen Worte voller verhaltener Würde beendeten die Diskussion. Sie erörterten die Details der Unternehmung.
     
    In seine Wohnung zurückgekehrt, fand Fandorin O-Yumi im Bett vor, mehr tot als lebendig. Das Gesicht blutleer, die Augen eingefallen, die Füße mit Lappen umwickelt.
    »Was ist mit dir?« rief er entsetzt. »Bist du krank?«
    Sie lächelte schwach.
    »Nein. Ich bin nur sehr, sehr müde. Aber das macht nichts, das geht vorbei.«
    »Und was ist mit deinen Füßen?«
    »Wundgescheuert.«
    Er kniete sich hin, nahm ihre Hand und bat: »Sag mir die Wahrheit. Wo warst du letzte Nacht? Und heute? Was geht mit dir vor? Die Wahrheit, ich flehe dich an, die Wahrheit!«
    O-Yumi sah ihn zärtlich an.
    »Gut. Ich sage dir die Wahrheit – die ganze, soweit ich kann. Aber du mußt mir zwei Dinge versprechen: daß du mich nichts weiter fragen wirst und daß auch du mir die Wahrheit erzählst.«
    »Ich verspreche es. Aber du zuerst. Wo warst du?«
    »In den Bergen. Das Maso-Kraut wächst nur an einer bestimmten Stelle, am Südhang des Bergs Tanzawa, fünfzehn Ri von hier. Ich mußte zweimal dorthin, denn man muß den Aufguß zweimal kochen, jedesmal frisch. Das ist meine ganze Geschichte. Und nun bist du dran. Ich sehe doch, du hast etwas vor, und ich mache mir Sorgen. Ich habe eine schlechte Vorahnung.«
    Fünfzehn Ri – das waren fast sechzig Werst in eine Richtung, rechnete Fandorin. Kein Wunder, daß sie halbtot war!
    »Dreißig Ri in einer Nacht zu reiten!« rief er. »Du hast das Pferd bestimmt halbtot gehetzt!«
    Seine Worte belustigten O-Yumi, sie lachte leise.
    »Schluß, keine Fragen mehr, du hast es versprochen. Und nun du.«
    Er erzählte: Vom Duell, davon, daß bei Bullcocks vor Wut eine Ader im Gehirn geplatzt war, von Don Tsurumaki und von der bevorstehenden Operation.
    O-Yumis Gesicht wurde immer besorgter, immer trauriger.
    »Wie entsetzlich«, flüsterte sie, als er fertig war.
    »Redest du von deinem Aldgie?« fragte Fandorin sofort eifersüchtig. »Dann fahr doch hin zu ihm, gib ihm von deinem Kräutersud!«
    »Nein, ich rede nicht von ihm. Aldgie tut mir leid, aber einem von euch beiden mußte ein Unglück zustoßen, dann schon lieber ihm als dir«, antwortete sie zerstreut. »Ich rede von dem, was du vorhast. Geh heute nacht nirgendwohin! Das nimmt kein gutes Ende! Das sehe ich an dem Schatten an deiner Schläfe!« Sie streckte die Hand nach seinem Kopf aus, doch als Fandorin lächelte, rief sie verzweifelt: »Du glaubst nicht an Ninso!«
    Sie stritten noch lange, doch Fandorin blieb unbeugsam, und schließlich schlief O-Yumi ermattet ein. Er ging hinaus, um nicht durch eine unbedachte Bewegung oder ein Stuhlknarren ihren Schlaf zu stören.
    Der Rest des Tages verging mit Vorbereitungen. Aus dem Schlafzimmer drang kein Laut; O-Yumi schlief fest.
    Am späten Abend aber, als Masa bereits auf der Treppe saß, den Blick auf die dunklen Hügel überm Bluff gerichtet, erlebte Fandorin eine unangenehme Überraschung.
    Als er wieder einmal am Schlafzimmer vorbeiging, legte er sein Ohr an die Tür. Diesmal glaubte er ein leises Rascheln zu hören. Vorsichtig öffnete er einen Türflügel. Nein, O-Yumi schlief noch immer – von ihrem Bett drang leises, gleichmäßiges Atmen herüber.
    Auf Zehenspitzen schlich Fandorin zum Fenster, um es zu schließen – von draußen wehte es kühl herein. Er schaute zur grauen Silhouette des gegenüberliegenden Hauses und erstarrte.
    Neben dem Schornstein regte sich etwas. Eine Katze? Nein, zu groß.
    Sein Herz hämmerte wie wild, doch er ließ sich die Unruhe nicht anmerken.

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